1.
Das Raumschiff näherte sich mit Unterlichtfahrt der mächtigen Sonne. Der Stern war dreihundertachtzig Parsek von der Erde entfernt und hatte nur einen einzigen Begleiter: Rhea.
Von allen Planeten, die den Pionierkommandos Terras bekannt waren, schien Rhea die gefährlichste, nutzloseste und aufregendste Welt zu sein - ein Planet mit doppelter Erdmasse im Urzustand. Das Schwerefeld war stärker. Die Mesonstürme in den obersten atmosphärischen Schichten machten eine Landung unmöglich. Das Gas, das anstelle einer normalen Sauerstoffhülle die zerklüfteten Schründe der Oberfläche umgab, leuchtete auf wie ein starker Blitz, wenn sich Meteoriten dem Boden entgegenstürzten. Ein immerwährender planetenweiter Hurrikan scheuchte die Gasmassen mit Geschwindigkeiten von über fünfhundert Stundenkilometern vor sich her, wirbelte sie herum, schuf Zonen aus Turbulenzen und fast windstillen Augen und riß Ozeane mit sich.
Rhea war eine Herausforderung an jeden Raumfahrer.
Heute, im Zeitalter der schweren Triebwerke und der sicheren Schiffshüllen war vieles möglich, was vor zwei Jahrhunderten noch ins Reich der Fabel verwiesen worden war: Rhea war außergewöhnlich. Aus diesem Grund war sie Commander Cliff Allistair McLane ein Dorn im Auge. Er kehrte mit seinem Kreuzer von einer Inspektionsfahrt zurück, die ihn bis an die Grenzen des kugelförmigen Raumbezirks gebracht hatte, den Terra kontrollierte. Hier, siebzig Parsek - also 228,2 Lichtjahre - vom Außenrand der Raumkugel entfernt, näherte sich der Kreuzer McLa-nes dem Planeten Rhea.
Lautlos, mit 229 700 km/sek, also eine Winzigkeit innerhalb der Lichtgeschwindigkeit fliegend, näherte sich der Diskus dem Stern. Das Schiff trat aus der Anonymität der strahlenden Punkte im All hervor, wurde größer und heller, schimmerte dann auf und zeigte sein wahres Aussehen. McLanes Schiff war einer jener flachen, diskusförmigen Kreuzer, wie sie die Raumaufklärungsverbände flogen, ein silbern schimmerndes Gebilde aus Stahl, Kunststoff und Glas. Schnell und wendig, sicher und zuverlässig, und mit einer Crew besetzt, die unter McLane eine gewisse Berühmtheit erlangt hatte. Im Innern des Schiffes herrschte nur ein einziges Geräusch: Das Singen der Antriebsmaschinen.
»Noch fünfzehn Lichtminuten bis Rhea«, sagte eine Stimme in der Kommandokanzel.
»Danke, Atan«, erwiderte McLane.
Das Raumschiff jagte weiter. In Hunderten von Lichtjahren Umgebung gab es nichts, das an Terra erinnerte. Hier, im östlichen Quadranten der zweidimensionalen Projektion des terranischen Herrschaftsgebietes, fand man nur Relaisstationen, Planeten mit winzigen Testkolonien oder mit Gruppen, die nach dem Krieg zurückgeblieben waren. Es lohnte sich nicht, so weit von Terra entfernt zu siedeln.
Der Diskus raste heran. In der Kommandokanzel herrschte eine unbestimmte Gespanntheit; man brauchte nur die Gesichter der Menschen anzusehen. McLane saß vorgebeugt in seinem Sessel und betrachtete den riesigen Schirm vor sich, der eine Menge Sterne, einen Abschnitt der Milchstraße und die leuchtende Sonne des Planeten Rhea zeigte. Niemand sprach. Alle wußten, worum es ging.
Cliff Allistair McLane wollte wieder einmal beweisen, daß es für ihn das Wort
Commander McLane ... Ingenieur Sigbjörnson ... Astrogator Shubashi ... Funktechnikerin Legrelle ... Erster Offizier de Monti ...
Das war die Crew des schnellen Raumkreuzers ORION VII. Angeführt von ihrem Kommandanten, gingen die vier Leute durch jedes Feuer und waren bereit, sich großzügig über Dienstvorschriften hinwegzusetzen, nur um ihren Ruf zu wahren. Dieser Ruf wurde in den Gesprächen an der Bar des Star-light-Casinos diskutiert. Er erfüllte Kadetten mit Neid und Freunde mit Furcht, denn sie kannten die Gefahren, in denen sich McLane wohl zu fühlen schien wie ein Vogel in der Luft. Dieser Ruf drang aber auch bis in die Büros der Vorgesetzten und in die Ohren von Wamsler, dem Chef der Terrestrischen Aufklärungsverbände. Und dies war die größte Gefahr für McLa-ne und seine Crew.
»Entfernung elf Lichtminuten, Cliff.«
»Danke.«
Jetzt zeichnete sich die Sonne als Punkt auf dem Schirm ab. Von der Ebene der Radargeräte aus betrachtet, lag Rhea rechts von dem Stern. Die Geräte machten das schwache Echo durch einen Satz Verstärker sichtbar. Ein Filter schob sich in Schirmmitte über die Sonne. Rechts davon erschien ein winziger Schatten.
Helga Legrelle sagte halblaut: »Ich habe Funkkontakt über Erdaußenstation IV.«
McLane schaltete den Lautsprecher links von der Sichtscheibe an und sagte leise: »Funkspruch umlegen auf Gerät Kommandant.«
In den Lautsprechern knackte es. Dann hörten die fünf Menschen das heulende Zischen der Statik, überlagert von den Störungen der Sonne. Helga Le-grelle schaltete die Filter vor; die Worte wurden deutlicher und lauter.
»Erdaußenstation IV ruft Raumkreuzer ORION ... ORION VII, melden Sie sich!«
McLane blickte hinüber zu seinem weiblichen Offizier der Raumüberwachung und grinste. Er machte ein Zeichen, das bedeutete, daß Helga den Empfang nicht bestätigen sollte.
Die Robotstimme redete ununterbrochen weiter.
»ORION VII, melden Sie sich ... Sie werden aufgefordert, Ihre Koordinaten bekanntzugeben ... Station IV ruft ORION!«
Die Blicke der Besatzungsmitglieder hingen an dem Gesicht des Commanders. Sie waren vor zwei Stunden von ihm über die bevorstehenden Ereignisse verständigt worden und waren von McLanes Vorhaben begeistert. Die Landung auf Rhea stand, wenn nicht das Schiff in der Gashülle verglühte, kurz bevor. Daran konnte ein einfacher Funkspruch, der über ein Netz von Relaisstationen gesendet und durch Benutzung einer Raumfalte schneller gemacht wurde, nichts mehr ändern. Cliffs Augen schienen die Scheibe durchbohren zu wollen.
Auf dem runden Schirm, zwei Meter im Durchmesser, zeichneten sich die Sterne der Milchstraße ab, darin eine glühende, lodernde Sonne und das Echo eines großen Planeten, umgeben von einer dunkelvioletten Aura. Immer noch wiederholte die Robotstimme die Aufforderung.
»ORION - bitte melden!«
McLane schüttelte den Kopf. Das Grinsen wich nicht aus seinem Gesicht, und die Anspannung der fünf Menschen nahm zu.
»Hasso! Zusatzmaschinen anfahren!«
»In Ordnung.«
Die noch stilliegenden Maschinen des Kreuzers begannen zu arbeiten. Noch wurden sie nicht eingesetzt. Sie liefen leer, und Hasso, der Ingenieur, saß konzentriert vor seinen Instrumenten und Schaltern.
»Helga, errichte eine Verbindung.«
»Verbindung steht, Cliff!« sagte Helga und drehte an einem Lautstärkeregler.
Plötzlich tobte eine akustische Hölle in der Kommandokanzel. Drei verschiedene Relaisstationen strahlten Funksprüche an die ORION ab. Offensichtlich hatte die vollautomatische Ortungsstation der fünften Entfernungszone und des betreffenden Sektorenausschnitts das Schiff geortet. Erdaußenstation IV schrie: »Ausnahmebefehl: ORION VII - sofortige Rückkehr zur Erde befohlen. Dies ist eine AlphaOrder der Obersten Raumbehörde! Ich wiederhole: Kurskoordinaten bekanntgeben und Anflug zur Erde einleiten ... Alpha-Order!«
Das Grinsen wich aus dem Gesicht des Kommandanten. Er machte eine komplizierte Geste; Helga verstand augenblicklich. Die Mannschaft flog schon lange mit McLane. Jupiters Außenstation, die Verbindungsstation von Wamslers Büro zu seinen Schiffen, sendete auf der gleichen Frequenz einen ähnlichen Spruch.
»Jupiter Außenstation an Schnellen Raumkreuzer ORION VII: Sie werden aufgefordert, Erdkurs einzuleiten und diese Meldung zu bestätigen. Ich wiederhole ... «
Das schrille Stakkato einer unverschlüsselten Ortermeldung mischte sich in die einander überlagernden Texte.
»Orter fünf/Ost Zwei meldet: ORION VII fliegt in Unterlichtgeschwindigkeit soeben Raumsektor Fünf an. Zielsonne scheint Rheas Begleiter zu sein ... Nummer Delta 33987 im Handbuch.«
»Achtung - ORION VII - Alpha-Order!«
»Bestätigen Sie den Empfang unseres Spruches!«
Die Robotstimmen aus verschiedenen Maschinen schrien sich gegenseitig in drei verschiedenen Tonhöhen und Lautstärken nieder. Helga Legrelle drehte den Schalter für die Lautstärke zurück. Auf Cliffs Pult leuchtete ein Signalpfeil auf, der Verstärkersatz für den Sprechfunk. Plötzlich rief Helga laut: »Cliff!«
»Verdammt«, sagte McLane grimmig, »sie haben uns tatsächlich geortet. Geben wir ihnen also Antwort.«
Er näherte sein Kinn dem Mikrophon, das sich auf einem biegsamen Stiel wie eine metallische Blume aus dem Pult hervorreckte. Sein Finger drückte den Kontaktschalter. Dann sagte McLane deutlich und ziemlich laut: »Hier ist die ORION VII unter Commander Cliff Allistair McLane. An Oberste Raumbehörde, Sektion Zwölf. Abteilung Raumforschung. Um meine Behauptung zu erhärten, daß eine Landung auf Rhea, Planet der Sonne Delta 33987, grundsätzlich möglich ist, fliege ich Rhea an. In Minuten werden wir die Landemanöver einleiten. Zum Beweis hinterlasse ich einen Funkroboter auf dem Planeten. Das war die ORION VII. Ich schalte ab.«
Er ließ den Kontaktknopf los. Gleichzeitig hob Helga die Verbindung auf. Der schimmernde Diskus war von sämtlichen Funkkontakten abgeschnitten. Die mißhandelten Gehörnerven erholten sich langsam. Mit einemmal war das dünne Singen des Antriebs wieder zu hören, und die Stimme Atan Shubashis. Er sagte: »Noch zehn Lichtsekunden bis zum Planeten!«
»Fertig zur Landung!« rief Cliff. Das alte Grinsen erschien wieder in seinem Gesicht. Er wußte, daß er seinen Rang aufs Spiel setzte, aber auch, daß seine Mannschaft und sein Schiff die Landung auf Rhea durchführen würde, koste es, was es wolle. Hasso Sigbjörnson stand auf und ging zum Lift.
*
Bedächtig schlossen die breiten Hände de Montis die Schnalle des Gurtes. Hasso stellte sich in den Lift und fuhr zwei Ebenen tiefer. Nach einigen Schritten stand der große weißhaarige Mann vor seinem Pult im Maschinenraum. Direkt vor ihm leuchtete die viereckige Scheibe des Videophons und zeigte ihm den Ausschnitt des Kommandopultes und den Oberkörper des Kommandanten. Hasso setzte sich, ließ seinen Blick über die Kontrollen und Anzeigen gleiten und schnallte sich ebenfalls fest.
»Alles klar, Hasso?« fragte Cliff vom Schirm.
Hasso sah schnell hoch und nickte dann, während seine Finger die Zusatzmaschine einschalteten. Jetzt wirkten vier Motoren gegen das Schwerefeld Rheas, das den Diskus zu sich herunterziehen wollte, in den Mahlstrom der entfesselten Gewalten einer jungen, stürmischen Natur des Präkambriums. Der Planet lag unter dem Schiff.
Hasso schaltete einen Zusatzschirm an; rechts vom Videophon erhellte sich ein Kreis und zeigte den Planeten Rhea. Die Kugel füllte den Schirm fast aus, und sie strahlte in unerträglicher Helligkeit und in vier Farben.
Stechendes Gelb: Das waren die Ebenen, von denen man wußte, daß sie noch kein Leben hatten; nicht einmal kümmerliche Moose wucherten auf Rhea. Der gelbe Sand erstreckte sich in seltsamen abgegrenzten Flächen über den einzigen Großkontinent.
Stumpfes Blauschwarz: Die Gebirgszüge, ein Netz von schwarzen Adern, über den halben Planeten. Es war Urgestein, Basalt, aufgetürmt zu wuchtigen und unerhört scharfkantigen Formen, an denen die Jahrtausende noch nicht lange genug genagt hatten, um die Kanten abzuschleifen. Auch kannte diese Welt keine Kälte.
Helles Rot: Die Kegel der Vulkane schleuderten ununterbrochen Asche, Flammen und Rauch in die Gase der Atmosphäre.
Dunkles Grün: Das Meer des Planeten war an den Ufern kilometerweit weiß und aufgewühlt. Die Stürme rissen das Wasser mit sich und schmetterten es Tausende von Kilometern weiter zurück auf die Ebenen und die Berge, in die Vulkane und zurück ins Meer. Dampf, Rauch, Flammen, Farben und ein un-vorstellbarer Aufruhr der Gewalten - das war Rhea.
Die ORION fiel dem Planeten entgegen, während sich ihre Geschwindigkeit verringerte. Retarder verhinderten, daß der Diskus auseinanderbrach; die künstliche Schwerkraft an Bord betrug ständig knapp 1 g.
Das Schiff befand sich zweitausend Kilometer über der Gesteinskruste des nördlichen Kontinentrandes. Rapide fiel die Geschwindigkeit. Wie ein riesiger Teller senkte sich die ORION den äußersten Schichten der Lufthülle entgegen.
»Geschwindigkeit siebenhundert Stundenkilometer«, sagte Hasso. Er betrachtete das grelle Dreieck, das mit einer Spitze nach außen auf einer runden Skala von rechts nach links glitt.
»Danke. Antigravstrahlen?«
Augenblicklich antwortete Hasso dem Commander.
»Noch nicht in den Maximalwerten.«
Hasso schaltete die Maschinen auf Leistung und fühlte, daß sich eine neue Kraft zwischen den Eigenimpuls des Schiffes und die Anziehungskraft des Planeten schob.
Die Instrumente, deren elektronische Fühler pausenlos den Planeten abtasteten, zeigten, daß nennenswerte Gaskonzentration erst ab hundert Kilometern Abstand von der Oberfläche bestand.
Cliff ordnete laut an: »Wir machen einen Sprung von tausendsechshundert Kilometern, Hasso. Ich schalte die Instrumente hinunter in den Maschinenraum. Einverstanden?«
»Klar, Cliff«, sagte Hasso. Er drehte den Regler der Geschwindigkeit auf.
Plötzlich beschleunigte der Diskus und kippte durch das Vakuum des Alls. Es fiel sekundenlang mit erhöhter Geschwindigkeit und kippte wieder in die Normallage zurück. Die Dreiecke des Abstandanzeigers verharrten zitternd auf der Marke Elf: Einhundertzehn Kilometer.
Fallgeschwindigkeit: Einhundert Meter pro Sekunde.
In achtzehneinhalb Minuten würde die ORION den Boden berühren.
Eine Minute später flimmerten die ersten Luftpartikel gegen den Schirm, der um den Diskus lag. Das Farbenspiel der bewegten Ionen wurde intensiver. Die Gashülle wurde dichter; die Instrumente ver-zeichneten die schwache Eigenbewegung der Atmosphäre. Der riesige Zeiger des Bordchronometers tickte und zerhackte die Zeit. Die Spannung hatte alle fünf Mitglieder der Crew ergriffen. Auf Cliffs Stirn standen winzige Schweißperlen. Seine Hände umklammerten die manuelle Steuerung, die in wenigen Minuten gebraucht wurde. Von ihm allein hing es ab, ob die Hurrikane das Schiff mit sich rissen oder ob die ORION ihre Funksonde absetzen konnte. Zehn Minuten später war es soweit.
Cliff griff nach den Hebeln. Die ORION wurde von einem Ausläufer einer gigantischen Windhose ergriffen und mitgerissen. Cliff erhöhte die Geschwindigkeit, stellte die Sinkbewegung nahezu ab und ließ sich von dem Strom mitreißen. In einer Spirale, deren Durchmesser mehrere tausend Kilometer betrug, jagte der Diskus dem Auge des Hurrikans entgegen. Das Gas rüttelte an dem Projektil und versuchte, es zu kippen; die Magnetstrahlen sicherten die ruhige Fluglage. Nur eine Folge von kleinen harten Stößen erschütterte das Raumschiff.
Ein Vulkan tauchte auf. Eine flammende Feuersäule, höher als zwanzigtausend Meter, reckte sich vor der ORION in die Wolken. Unter dem Schiff raste die gelbe und schwarzgeäderte Oberfläche des Kontinents vorbei. Das Schiff fegte wie ein Phantom durch die Feuersäule, setzte sekundenlang sämtliche Retarderkräfte ein und stellte sich schräg. Die Andruckkräfte, die während des Kreiskurses auftraten, wurden abgefangen. Die ORION näherte sich dem Endpunkt. Sie brach aus der graugelben Mauer der Wolken hervor, flog eine enge Kurve und ging tiefer.
»Eintausend Meter, Cliff!« sagte de Monti warnend. Cliff schien ihn nicht zu hören; dann nickte er schweigend. Er zwang in dem windstillen Auge des Sturmes die ORION weiter hinunter und aktivierte die gesamte Kraft des Antigravtriebwerks. Wie ein Pilz aus Metall hing Sekunden später die ORION über einer Sandfläche von stechendem Gelb, aus der die harten Formen von spitzen blauschwarzen Felsen hervorstachen.
»Hasso?« fragte Cliff erschöpft.
»Hier. Ich habe die Robotsonde aktiviert.«
Cliff nickte Hasso Sigbjörnson zu.
»Ausklinken!«
In der unteren Schale des Diskus öffnete sich eine Schleuse, deren Elemente sich wie ein Zentralverschluß einer Kamera bewegten. Ein magnetischer Strahl ließ einen schwarzen kugelförmigen Gegenstand zu Boden gleiten; er hing an einem mechanischen Anker. Auf einem kleinen Schirm dicht über seinem Handgelenk sah Cliff die Signale, die Helga optisch sichtbar gemacht hatte. Eine Signallampe erlosch - die Schleuse war wieder geschlossen.
»Wir starten durch das Auge dieses Zyklons senkrecht nach oben«, sagte Cliff und zog den Hebel des Antigravs zu sich heran. Der Diskus hob sich wieder und erhöhte seine Geschwindigkeit.
Dann setzten Cliff und Hasso sämtliche Kräfte der Maschinen ein und erreichten, nur hin und wieder von Ausläufern des Sturms durchgeschüttelt, den freien Raum. Wieder zweitausend Kilometer von Rhea entfernt, leitete Cliff den ersten einer Reihe von Transitionssprüngen ein, die die ORION zurück zur Erde bringen sollten. Ein paar Stunden später ...
Die Besatzungsmitglieder umstanden den Sessel des Commanders. Cliff McLane saß erschöpft darin und betrachtete die vertrauten Konstellationen auf dem gewaltigen Schirm. Sie waren in der Nähe des Solsystems.
»Wir haben immerhin bewiesen, daß es lediglich eine Sache des gesunden Menschenverstands ist, auf diesem merkwürdigen Planeten zu landen. Wenn man natürlich mitten in einen Hurrikan hineinfliegt, kann es schiefgehen«, sagte Cliff.
»Eine weitere Voraussetzung sind einwandfreie Maschinen«, erwiderte Hasso und stieß sich von einem geschwungenen Träger ab.
»Und ein Chef, der für gewisse Extratouren Verständnis hat«, sagte Helga Legrelle zweideutig. »Sollte Wamsler dir den Kopf abreißen wollen, weißt du wenigstens, warum das geschieht.«
»Winston Woodrov Wamsler bellt nur, aber er beißt niemals«, sagte Cliff. Es war deutlich zu spüren, daß seine Laune ausgezeichnet war. Hätte er geahnt, daß dies ein entscheidender Irrtum war, wäre Cliff Allistair McLane mit der schwärzesten aller schwarzen Stimmungen der Erde und der Raumschiffbasis 104 entgegengeflogen.
»Radioecho!« sagte Helga.
»Die Erde hat uns wieder«, stellte Cliff fest und stand auf.
Der gewaltige Raum, den die Erde kontrollierte, durchmaß neunhundert Parsek, also neunhundertmal 3,26 Lichtjahre. Man hatte den kugelförmigen Raum in zehn Entfernungsabschnitte eingeteilt. Diese Schalen, konzentrisch um die Erde als absolutem Mittelpunkt angeordnet, trugen die Nummern Eins bis Zehn. Dazu kamen die vier allgemeinen Richtungen: Ost, Nord, West und Süd. Es war, als zerschneide man einen Apfel in vier Teile. Jeder dieser Teile war eingeteilt in Raumkuben, deren Kanten teilweise gekrümmt und zum anderen Teil gerade waren. Jeder Kadett hatte sämtliche Bezeichnungen im Kopf und konnte sie im Schlaf identifizieren.
Innerhalb dieser Zone befand sich das Gebiet, das die Raumaufklärungsverbände kontrollierten. Diesen Verbänden stand Raummarschall W. W. Wamsler vor.
Und in diesem Augenblick begann er zu toben ...
2.
Wamslers Büro war mit kalter Zweckmäßigkeit und in jener großzügigen Innenarchitektur eingerichtet, die sämtliche Anlagen der Terrestrischen Raumaufklärungsverbände kennzeichnete. Hinter der spiegelnden Platte des Schreibtisches saß Raummarschall Wamsler - die Stille in dem Raum war bedrohlich.
Unter der Tischplatte drang ein leises Summen hervor.
Wamsler, massiv und schwarzgekleidet, studierte die Texte, die ein Robotgerät auf eine Sichtplatte projizierte. Immer neue Zeilen bildeten sich auf dem Sichtschirm; es waren die Kurzberichte von Einsätzen der Verbände. Wamsler sah auf, als ein dünner Ton zu hören war.
Auf dem Schirm des Videophons, schräg gegenüber dem Schreibtisch, war ein Gesicht zu sehen. Eine Stimme sagte in geschäftsmäßigem Ton: »Marschall Wams-ler?«
»Ja, bitte, Spring-Brauner?«
»Der Chef der Schnellen Raumverbände ist da.«
Wamslers dunkle Augen verschwanden für einen Augenblick hinter den schweren, schläfrigen Lidern. Dann sagte er langsam, mit einer dunklen Stimme: »Ich lasse bitten.«
Winston Woodrov Wamsler war eine düstere Erscheinung, von Jahren des Dienstes und von der Schwere der Verantwortung geprägt. Alles an ihm war schwarz: die Uniform mit dem breiten Metallverschluß der Jacke, das stark gelichtete Haar mit dem Stirndreieck, die buschigen Brauen und die Augen.
Der Marschall holte tief Atem und lehnte sich zurück, den kühlen Blick auf die Barriere gerichtet. Etwas fauchte halblaut auf.
Neben der mächtigen Kartenwand leuchtete und flimmerte ein halbtransparentes Viereck; eine Kaskade aus verschiedenfarbigen Lichtstrahlen. Sie war tödlich - derjenige, der in diesen Vorhang tobender Elektronen geriet, war verloren. Wie eine zusammensinkende Wasserwand fiel die Barriere in die Projektionsleiste des Bodens zurück. Ordonnanzleutnant Spring-Brauner betrat das Büro. Neben ihm ging mit energischen Schritten eine ungewöhnliche Erscheinung bis dicht an den Schreibtisch Wamslers heran.
»Guten Abend«, sagte Winston Wamsler halblaut.
Die Stimme van Dykes war kühl und gelassen.
»Guten Abend, Marschall Wamsler.«
Regungslos blieb Spring-Brauner neben der fünf-unddreißigjährigen Frau mit dem dunklen Haar stehen. Lydia van Dyke trug die Uniform der Schnellen Raumverbände mit dem Identifikationsschild auf der linken Brustseite. Hinter den beiden Personen stach die Barriere wieder senkrecht nach oben und verschloß das Büro.
Wamsler eröffnete die Unterhaltung, die alles andere als angenehm zu werden versprach.
»General van Dyke, Sie wissen vermutlich, warum ich Sie zu mir gebeten habe.«
Die ausdrucksvollen Lippen der Frau verzogen sich zu einem fast unmerklichen Lächeln.
»Ich kann es mir denken. Ich nehme an: McLane?«
Wamsler schien nur ungern weitersprechen zu wollen.
»Ja, General. Die befehlswidrige Landung auf Rhea hat ihm das Genick gebrochen.«
Einen Augenblick lang herrschte Stille, in der man nur die schweren Atemzüge des Marschalls hörte, und das Knirschen der Stiefel, wenn sich eine der drei Personen regte. Dann sagte General van Dyke gelassen: »Die Landung auf Rhea mag befehlswidrig gewesen sein, war aber eine raumfahrttechnische Meisterleistung. Ich habe mir die Bänder des elektronischen Bordbuchs angesehen.«
Spring-Brauner war zweifellos ein sehr gut aussehender Mann. Sein persönlicher Fehler war, daß er es wußte und pausenlos versuchte, andere damit zu verblüffen. Ohne den General anzusehen, warf er ein: »Die Landung erfolgte entgegen einer ausdrücklichen Alpha-Order der Obersten Raumbehörde. McLane hat zugegeben, daß er die Order empfangen hat.«
Van Dyke musterte Spring-Brauner von oben bis unten, als sähe sie ihn heute zum erstenmal.
»Daß Sie, Mister Spring-Brauner, Commander McLane am liebsten als Sträfling in den Phosphorsümpfen sehen möchten, ist mir keineswegs neu. Und nicht nur mir, Verehrtester.«
Wamsler hieb mit der Faust auf die Tischplatte und polterte los: »Bleiben wir bei der Sache, General.«
»Wir sprechen noch immer über McLane«, gab Lydia zurück.
Der Marschall schüttelte den Kopf. »Persönliche Sympathien oder Antipathien spielen hier keine Rolle. Tatsache ist, daß Cliff Allistair McLane mit sofortiger Wirkung zum Patrouillendienst der Raumaufklärungsverbände strafversetzt ist.«
Lydia stand hochaufgerichtet vor dem Marschall; eine schlanke Frau in dem dunklen Dreß mit den knielangen Stiefeln aus hauchdünnem Kunstleder.
»Auf die Idee«, sagte sie halblaut und trocken, »mich als McLanes bisherige Vorgesetzte zu informieren, ist wohl niemand gekommen, wie ich vermute?«
Wamsler machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Deshalb habe ich Sie zu mir gebeten, General. McLane und seine Crew werden in einigen Minuten hier erscheinen.«
»Ich soll das zweifelhafte Vergnügen haben, der Hinrichtung beizuwohnen?« Lydia lächelte sarkastisch.
Wamsler zuckte mit seinen breiten Schultern.
»Ich hätte es Ihnen gern erspart, Lydia«, sagte er etwas versöhnlicher. »Aber ich kann ebensowenig aus meinen Befugnissen ausbrechen wie Sie.«
Nach einigen Sekunden Pause sagte Lydia van Dyke: »Darf ich auch eine persönliche Meinung äußern?«
Wamsler machte eine einladende Geste.
»Bitte, General«, sagte er kurz.
»Ich halte diese Strafversetzung«, meinte Lydia van Dyke, »für den größten und überflüssigsten Skandal in der gesamten Raumflotte Terras.«
Wamslers Stimme schwoll um mindestens zehn Phon an.
»So!« sagte er mit Nachdruck. »Und Cliff McLanes Eskapaden - seine ständigen Husarenritte auf eigene Faust?«
»Dieser verrückte Flug zum zweiten Mond des Jupiter - damals?« warf Spring-Brauner ein.
Wamsler fuhr in der Aufzählung von McLanes Eigenmächtigkeiten fort.
»Der Durchbruch zur Saturnbasis im zweiten interplanetarischen Krieg? Das eigenmächtige Eingreifen auf den Planeten Alpha Centauris? Und so weiter, und so weiter. Waren dies keine Skandale?«
Lydia lächelte geduldig und sagte Wamsler etwas, das er selbst schon wußte, das er aber nicht laut sagen durfte.
»Ohne Männer wie McLane - einschließlich seiner ausgezeichneten Crew - hätten wir beide interplanetarischen Kriege vermutlich verloren.«
Leise und nachdenklich sagte der Marschall, während er die Raumkarten neben der Barriere betrachtete: »Möglich, Lydia ...«
Dann wurde er plötzlich wieder heftig und rief, die Augen auf Spring-Brauner gerichtet: »Aber, bei den Satelliten von Chroma, wir sind hier nicht versammelt, um den Mann nachträglich reinzuwaschen!«
General van Dyke unterbrach den Marschall.
»McLane und Patrouillendienst? Es wäre vernünftiger, wenn man ihn gleich ganz hinausgefeuert hätte!«
Spring-Brauner hob eine Hand und machte, wie er glaubte, ein Bonmot.
»Sie dramatisieren die Sache, General. Kein Mensch ist unersetzlich, nicht einmal McLane! In einigen Jahren werden wir in unseren Raumschiffen Robotanlagen eingebaut haben.«
Van Dyke fuhr herum.
»Ich hoffe«, sagte sie scharf, »daß ich jene Roboter auch in den Vorzimmern der Stäbe anzutreffen das Vergnügen haben werde, Adjutant Spring-Brauner. Ich weiß auch schon, wen ich als ersten ersetzt haben möchte.«
Das Videophonsignal unterbrach das Duell. Ein Mädchen, Kadett im Raumdienst, erschien auf dem Schirm neben der Barriere. Wamsler blickte an Spring-Brauner vorbei auf den Schirm und hob die dichten Brauen.
»Marschall - die ORION-Besatzung wartet bei mir.«
Wamsler sagte kurz: »Einen Moment noch. Ja?«
Die Frage hatte Spring-Brauner gegolten. Der Adjutant sagte etwas ruhiger: »Sollten wir nicht zuerst diese Beamtin des Sicherheitsdienstes anhören, Marschall?«
»Ja. Bitte.«
Spring-Brauner machte eine Drehung, ging bis zur Barriere und wartete eine halbe Sekunde, bis der Öffnungsmechanismus auf das Muster seines Identitätsschildes angesprochen hatte und die Barriere verschwinden ließ.
In die regungslos dastehende Frau kam plötzlich eine unerwartete Bewegung. Sie stützte sich mit einer Hand auf die Schreibtischplatte und stemmte die Linke in die Hüfte.
»Soll das heißen«, fragte Lydia van Dyke und zwinkerte, »daß McLane auch noch einen Schnüffler an Bord bekommt?«
Wamsler sagte resignierend: »Anordnung von der Obersten Raumbehörde. Ich kann es nicht ändern, Lydia.«
Van Dyke schüttelte fassungslos den Kopf.
Wieder fiel die Barriere zusammen, und durch den viereckigen Rahmen der Anlage kamen SpringBrauner und eine Frau in der dunkelgrauen Uniform des Galaktischen Sicherheitsdienstes. Sekundenlang waren nur die Schritte des Adjutanten und das Stakkato der Stiefelabsätze zu hören. Langsam drehte sich Lydia van Dyke um und musterte die Beamtin.
Der Marschall machte keine Anstalten aufzustehen. Er betrachtete nachdenklich und irgendwie beunruhigt das S in dem scharfumrissenen Kreis, das die Frau über der rechten Brust trug.
Sie winkelte den rechten Arm ab und berührte kurz mit dem Zeigefinger ihre linke Schulter. Ihre Stimme war angenehm leise, als sie sagte: »Leutnant Erster Klasse Tamara Jagellovsk vom Galaktischen Sicherheitsdienst.«
Wamsler deutete knapp auf Lydia van Dyke, die abwartend neben dem Tisch stehengeblieben war.
»Das ist General van Dyke, Chef der Schnellen Raumverbände. Ihr unterstand bis jetzt die ORIONBesatzung. Sie kennen die Berichte, die Akten und die einzelnen Disziplinarverfahren gegen die ORION VII und ihre Mannschaft, Leutnant Jagellovsk?«
Knapp erwiderte Tamara: »Jawohl, Marschall.«
Ungerührt fuhr W. W. Wamsler fort: »Sie kennen Ihre Aufgaben und wissen über Ihren Dienst auf der ORION Bescheid, Leutnant?«
Mit gutgespielter Bescheidenheit erwiderte Tamara: »Man hat mich in der Zentrale des Galaktischen Sicherheitsdienstes darüber eingehend informiert.«
Nicht ohne Ironie sprach Wamsler weiter.
»Sie sind als Sicherheitsoffizier auf die ORION abkommandiert, um Befehlsüberschreitungen, Verstöße gegen die Raumdienstvorschriften und Verletzungen des Flottengesetzes disziplinarisch zu unterbinden beziehungsweise anschließend zur Meldung zu bringen!«
»So etwa lautet meine Order, Marschall.«
Vorsichtig warf Wamsler ein, als habe er Mitleid mit der jungen Frau, die etwas aufgeregt, aber dennoch beherrscht vor ihm stand: »Sie werden es mit McLane und seiner Mannschaft alles andere als leicht haben, Leutnant Jagellovsk.«
Unbewegt antwortete Tamara: »Damit habe ich zu rechnen.«
Lydia van Dyke lachte. Ohne darauf zu achten, sagte Wamsler zu Tamara: »Hm. Sie sind noch ziemlich jung für eine derartige Aufgabe ...«
»Danke, Marschall«, sagte Tamara lächelnd.
»Sie haben noch nicht viel Erfahrung im galaktischen Dienst.«
Mit jenem Grad von Sarkasmus, der angesichts von Vorgesetzten zulässig war, sagte Tamara selbstsicher: »Man schlug ausgerechnet mich vor, Marschall!«
General van Dyke schien die Musterung des weiblichen Leutnants zu ihrer Zufriedenheit abgeschlossen zu haben. Sie sah eine blonde Frau mit grünen Augen und einem herben, aber keineswegs unweiblichen Gesicht. Die dunkelgraue Uniform schien ein Meisterstück eines Flottenschneiders gewesen zu sein; sie entsprach dem, was sie umschloß. In den kniehohen Stiefeln steckten, soweit erkennbar, geradezu klassische Beine. Das Haar war, wie es zur Zeit Mode war, von den Ohren in zwei schwungvollen Spitzen zum Kinn hin frisiert. Lydia van Dyke kannte wesentlich häßlichere Beamte des Sicherheitsdienstes und wußte, daß McLane ein großer Verehrer alles Schönen war. Wamsler brachte den Gedankenzug auf seine Art zu einem Schluß.
»Nun schön ...« sagte er gedehnt. »Dann kann es ja losgehen.«
Sein Finger drückte einen Kontakt nieder; der Videophonschirm erhellte sich. Der weibliche Vorzimmerkadett blickte Wamsler an.
»Herein mit McLanes Bande!« sagte Wamsler laut.
Die vier Personen warteten auf McLanes entscheidenden Auftritt.
Was innerhalb der Flotte an McLane - der einen mehr als zweifelhaften Ruf besaß - uneingeschränkt bewundert wurde, war seine Selbstsicherheit. Sie stellte das Ergebnis einer langen und schwierigen Karriere dar, die McLane durch zahllose Gefahren und tollkühne Einsätze bis zum Kommandanten eines Raumkreuzers gebracht hatte. Seine Leute schätzten seine Kameradschaft und die Tatsache, daß er keine Sekunde lang nur Chef war. Die Kameraden in der Flotte schätzten seine Trinkfestigkeit und seine Verachtung für lästige Konventionen wie Anordnungen und dergleichen. Und die Mädchen und Frauen, die seinen Weg durchs All säumten, schätzten seine übrigen Qualitäten, die, wie jedermann wußte, seinem Mut in nichts nachstanden.
An der Spitze einer schrägen Linie schritt Cliff Alli-stair McLane. Schlank, mit braunem kurzgeschnittenem Haar, das er arrogant, aber zweckmäßig in die Stirn gekämmt hatte. Auf der rechten Seite der schlichten schwarzen Uniform glänzte die Identitätsplakette.
Die fünf Mitglieder der Crew blieben in einer Reihe vor Marschall Wamslers spiegelndem Schreibtisch stehen. Wamsler, Lydia, Spring-Brauner und Tamara hatten den Aufmarsch mit sehr gemischten Gefühlen beobachtet und warteten auf McLanes Gambit.
Gelassen meldete sich McLane zur Stelle.
»Commander McLane und die ORION-Besatzung, Marschall.«
Die HM 4, das schwere Modell der Strahlwaffe, hing an den Befestigungen des Uniformgürtels. Für eine Strahlwaffe hatte der Stab eine ungewöhnliche Form.
Wamsler musterte die fünf Leute mit durchdringendem Blick, griff schweigend zu der Plastikmappe und blätterte darin.
»Major McLane«, sagte er langsam und ohne jede Betonung, »ich habe Ihnen etwas Entscheidendes zu eröffnen.«
McLane schwieg abwartend; seine Crew blickte starr geradeaus.
»Der Untersuchungsausschuß der Raumkommission hat folgendes angeordnet: Ihr Dienstunterstellungsverhältnis zu den Schnellen Raumverbänden wird ab sofort aufgehoben. Sie haben sich als zum Raumpatrouillendienst strafversetzt zu betrachten!«
Eine kleine Pause entstand. Dann frage McLane: »Für wie lange, Marschall Wamsler?«
Wamsler knurrte: »Für sechsunddreißig Monate.«
»Und aus welchem Grunde?« fragte McLane in gespielter Harmlosigkeit.
Wamsler blinzelte überrascht, dann schlug er mit der Mappe auf den Tisch und sagte scharf: »Major McLane! Ersparen Sie sich es bitte, Ihrer Mannschaft, den hier Versammelten und mir, den umfangreichen Katalog Ihrer Sonderveranstaltungen herunterzubeten.«
Wamsler warf einen Blick auf General van Dyke, dann sprach er weiter.
»In Zukunft, Major, werden Sie beim geringsten Vergehen gegen die Vorschriften Ihren Abschied bekommen. Verstehen wir uns in diesem Punkt, Commander?«
Ruhig sagte McLane: »Marschall Wamsler! Falls der Stab es wünscht, ziehen wir augenblicklich die Konsequenzen und scheiden aus dem Raumdienst aus.«
»Sie halten jetzt gefälligst Ihren Mund, McLane!« sagte Lydia van Dyke plötzlich und kam Wamsler zuvor. Überrascht blickte McLane sie an. Der General zwinkerte unmerklich; nur der Commander konnte es sehen.
»Sie quittieren nicht einfach den Dienst wie ein beleidigter Raumkadett, sondern Sie finden sich nach drei Jahren wieder bei mir ein. Klar?«
McLane zwinkerte mit dem rechten Augenlid zurück.
»Jawohl, General van Dyke«, sagte er.
Lydia salutierte vor Wamsler, drehte sich um und verließ ohne ein weiteres Wort das Büro. Vor ihr erlosch die Barriere und flammte wieder auf, als die harten Geräusche der Absätze verklangen. Wamsler sprach weiter.
»Es liegt ferner ein Befehl des Führungsstabes vor. Für diese sechsunddreißig Monate wird Ihnen ein Beamter des Galaktischen Sicherheitsdienstes zur Seite gestellt.«
Es gelang Wamsler, die grenzenlose Ruhe des Commanders zu durchbrechen. McLane beugte sich vor, hielt den Kopf schräg und tat, als habe er nicht richtig verstanden.
»Das ist ...« flüsterte er erstickt.
Wamsler unterbrach ihn scharf: »Keinen Kommentar, McLane, wenn ich bitten darf!«
Der wuchtige Kopf Wamslers deutete hinüber zu Leutnant Tamara Jagellovsk.
»Das ist Ihr zukünftiger Sicherheitsoffizier an Bord, Major. Leutnant Erster Klasse Tamara Jagellovsk. Ihnen ist zweifellos bekannt, McLane, daß Beamte des GSD Alpha-Order erteilen können.«
Zehn mißtrauische Augen richteten sich auf Tamara. Die Crew studierte in schöner Einmütigkeit den Leutnant, als sei er ein kosmisches Trümmerstück. Tamara ihrerseits gab die Blicke zurück und musterte die fünf Leute.
Wamsler wurde nun doch etwas unsicher.
»Ich hoffe, McLane, es gibt keinen Ärger!« sagte er warnend.
»Das hoffe ich auch, Marschall!« gab McLane spitz zurück. Er blickte noch immer Tamara an. Commander und GSD-Offizier maßen sich wie zwei Ringkämpfer. Wamsler räusperte sich und sprach weiter. McLanes Blick kehrte zu ihm zurück.
»Gut. Ich möchte mich jetzt mit Ihnen und Ihrer Crew über Ihren ersten Einsatz im Raumpatrouillendienst unterhalten. Sie starten morgen achtzehn Uhr Zehn/Nord 219. Ihre Aufgabe: Überwachung, Sicherung und Kontrolle aller Raumschiffs- und Funksatellitenbewegungen in diesem Kubus.«
»Marschall!« stammelte McLane außer Fassung, »das ist ein Auftrag für Raumkadetten!«
Mit kaltem Lächeln erwiderte Wamsler: »Betrachten Sie den Einsatz als Erholungsflug. Sie sehen ohnehin etwas angegriffen aus. Alles klar?«
»Alles«, sagte McLane geschlagen. »Alles, Marschall!«
3.
Aus unerklärlichen Gründen hatte sich die Bezeichnung eingebürgert: Starlight-Casino. Der Raum befand sich unweit der Basis auf der Erdoberfläche, aber ein Teil war in eine tropische Lagune eingebaut worden. Hinter dicken Glaswänden sah man Schwärme der exotischen Fische und die unaufhörlich wachsenden Korallenbänke. Über dem gesamten Raum hingen die Klänge der Musik, die aus versteckten Lautsprechern drang. Modekomponist dieses Jahres war
Auf der Platte der Bar hätte man sehr gut Hundertmeterläufe veranstalten können. McLane, dessen Stimmung sich mit Hilfe von Alkohol wieder verbessert hatte, saß neben Hasso und fragte unmotiviert: »Du möchtest noch einen Cognac, Hasso?«
Hasso Sigbjörnson machte eine Bewegung, die Abwehr und Askese ausdrücken sollte.
»Nein, Cliff«, sagte er streng. »Nicht für mich. Ich muß gehen ... Wirklich, Cliff«, setzte er hinzu, als er das Grinsen im Gesicht seines Kommandanten sah. »Ich müßte nämlich seit zwei Stunden zu Hause sein.«
»Nichts wird dich aufhalten, Hasso!«
Das Mädchen, das hinter der Bar stand, näherte sich. Es hatte in der Siedlung der Raumfahrer einen Aufstand gegeben, als man die Barmädchen vor Jahren durch Robotanlagen hatte ersetzen wollen. Seitdem blieb alles beim alten.
McLane drehte sich um und beobachtete die tanzenden Paare.
»Ich sollte mich wirklich langsam auf den Weg machen. Was hast du mich vorhin gefragt, Cliff?« meinte Hasso irgendwie bedrückt.
»Ich dich gefragt?« fragte Cliff. »Nichts!«
»Ja! Du fragtest mich doch etwas - vor drei Sekunden.«
Cliff begann zu lachen.
»Richtig!« stellte er fest und winkte dem Mädchen hinter der Bar mit der Hand. »Ich habe dich gefragt, ob du noch einen Cognac willst.«
»Ja, bitte!« Sigbjörnson nickte ergeben.
Die Gläser kamen; hohe, schlanke Zylinder mit einem selbstleuchtenden Fuß. Die Beleuchtung bewirkte, daß der Alkohol wie ein kostbarer Stein wirkte.
»Aber dann muß ich gehen«, sagte Hasso. »Sonst wird Ingrid böse.«
»Vollkommen zu Recht«, warf McLane ein.
Sigbjörnson hatte ein Problem. McLane erkannte es klar, zumal Hassos blaue Augen unsicher wirkten. Der Commander drehte das Glas zwischen den Fingern und wartete.
»Sag mal, Cliff - möchtest du nicht noch auf einen Sprung mitkommen?«
McLane begann, schallend zu lachen. Einige Gäste drehten sich um.
»Ach du Schreck!« sagte er und begriff schlagartig, welcher Art das Problem Hassos war. »So sieht es also wieder einmal aus!«
»Ja, Cliff - ich habe es ihr fest versprochen.«
»Wie oft hast du es ihr eigentlich schon >fest versprochen^« fragte Cliff und lachte noch immer. »Glaubt sie dir eigentlich überhaupt noch etwas, Has-so?«
Hasso nickte und schien zu glauben, was er sagte.
»Es ist mein Ernst. Ich höre auf!«
Cliff trank einen tiefen Schluck aus dem Glas und stellte es vor sich auf die Bar zurück. Dann bohrten sich seine braunen Augen in das Gesicht des Ingenieurs.
»Ist das dein Ernst, Hasso?« fragte der Commander ruhig. »Oder war es dein Ernst?«
Hasso war weniger ein Mann der Worte als einer der Taten. Es gab keinen einzigen Millimeter seines Maschinenraumes und des Kampfstandes, den er nicht genau kannte; sollte er komplizierte Vorgänge seines Innenlebens darlegen, begann er zu improvisieren. Er strich zögernd über sein weißes Haar, das er in die Stirn gebürstet hatte.
»Du mußt mit ihr reden, McLane!« erklärte er kategorisch.
»Ich weiß«, erwiderte Cliff und nickte.
Hasso hakte seinen langen Zeigefinger in die Gürtelschließe Cliffs ein und zog den Commander zwanzig Zentimeter zu sich heran.
»Ohne dich traue ich mich nicht heim, Cliff.«
Das Grinsen, mit dem McLane seinen Ingenieur ansah, hatte nichts Ironisches an sich; es war der Ausdruck tiefer und verständnisvoller Kameradschaft zwischen Männern. Als McLane auf die Tanzfläche blickte, sah er eine schlanke blonde Frau. Sie bahnte sich einen Weg durch die Tanzenden. McLanes Zeigefinger deutete dicht neben Hassos Nase nach hinten, und Cliff sagte trocken: »Dein Problem scheint gelöst zu sein.«
Hasso drehte sich herum und versteifte sich, als er seine Frau erblickte.
»Aus!« sagte er in tiefer Niedergeschlagenheit. »Jetzt ist es passiert.«
McLane winkte dem Mädchen und sagte kurz, aber höflich: »Zahlen!«
Hasso rutschte auf seinem Barhocker herum und drehte sein Gesicht zu Cliff hin. Es war für jeden zu sehen, daß er ein starkes Gewitter mit zahlreichen Blitzen erwartete.
»Bei den Raumgespenstern, Cliff! Du willst mich doch jetzt nicht im Stich lassen!«
Beruhigend erwiderte Cliff: »Nein, nur zahlen. Es macht einen besseren Eindruck, wenn wir schon gezahlt haben.«
Er zahlte, rutschte aus seinem Barstuhl und blieb ruhig daneben stehen. Vor Sigbjörnsons Frau verbeugte er sich kurz und liebenswürdig.
»Guten Abend, Ingrid«, sagte er verbindlich. »Nett, Sie wieder einmal zu sehen.«
Frau Sigbjörnson, eine gutaussehende Blondine, warf McLane einen prüfenden Blick zu und sagte: »Hallo, Major McLane!« Sie wandte sich an ihren Mann. Mit der Geduld einer geprüften Raumfahrerfrau fragte sie: »Finden eigentlich alle Mannschaftsbesprechungen hier statt, Hasso?«
»Manche, Ingrid«, versicherte Sigbjörnson. »Das schwankt ...« McLane nickte eifrig.
»Den Eindruck habe ich auch«, sagte sie leise. »Es besteht die Gefahr, daß du ebenfalls schwankst.«
»Wie gesagt«, antwortete Hasso und stand ebenfalls auf. »Wir waren gerade im Aufbruch. Ich schlug eben Cliff vor, er möge noch auf ein Bier mitkommen.«
Die Musik hörte auf. Die tanzenden Paare zerstreuten sich. Einige kamen an die Bar, andere zogen sich zu den Sitzgruppen zurück, andere wieder gingen in den Eßraum.
Nicht gerade höflich sagte Ingrid Sigbjörnson: »So?«
»Du scheinst nicht gerade hellauf begeistert darüber zu sein, daß unser berühmter Commander unser bescheidenes Haus besucht.«
Wider Willen mußte Ingrid lächeln.
»Aber - Hasso! Immer, wenn du deinen Chef bei uns anschleppst, weiß ich sehr genau, was los ist!«
Sigbjörnson war bereit, hoffnungslos zu kapitulieren.
»Ja«, murmelte er verdrossen, »Ingrid, weißt du -McLane meinte eigentlich ... «
McLane machte eine unsichere Geste und deutete zuerst auf sich, dann auf Hasso. Ingrid blickte ihn rätselhaft an.
»Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen erklären soll, gnädige Frau«, sagte McLane. Aber er wurde unterbrochen.
»Sie brauchen mir nichts zu erklären, Major: Hasso fliegt wieder mit, nicht wahr?«
Hasso sah seine Chance und redete aufgeregt weiter.
»Ja, es stimmt, Ingrid. Ich dachte, es sei besser, wenn ich dieses Mal noch dabei bin, dieses eine Mal noch.«
»Gerade jetzt, Ingrid«, warf McLane ein, »wo wir höheren Orts so ungeheuer beliebt sind.«
»Ich habe davon gehört«, sagte Frau Sigbjörnson kühl.
»Sogar eine Aufpasserin vom GSD haben sie zu uns abkommandiert«, rief Hasso vorwurfsvoll und breitete die Hände aus.
»Sie sehen also, gnädige Frau«, sagte McLane, noch ehe Ingrid antworten konnte, »daß es der denkbar schlechteste Zeitpunkt wäre, einen Nachfolger für Hasso anzulernen. Ganz abgesehen davon, daß keiner Hassos Leistungen auch nur im entferntesten erreichen könnte.«
Trotz ihrer Enttäuschung mußte Ingrid lächeln. Sie lehnte sich an die Bar und blickte die zwei Männer an, die nicht gerade gute Figuren machten.
»Ich bin sehr gespannt«, erklärte sie, »auf den Zeitpunkt, an dem euch einmal die guten Ausreden ausbleiben.«
»Cliff!« sagte Hasso fast jubelnd und schlug ihm auf die Schulter. »Sie hat gelacht!«
Etwas niedergeschlagen stellte McLane fest: »Sagen wir einmal - sie hat gelächelt!«
Ingrid setzte sich in den Stuhl Hassos und sagte, indem sie graziös an den Fingern abzuzählen begann: »Die Kinder schlafen, die Robots sind abgeschaltet. Deine Uniform ist gereinigt und die Miete ist bezahlt ... Ich glaube, ich bleibe noch ein wenig. Falls der Herr Major geruhen würde, mich auf einen Cocktail einzuladen, würde ich seine Bitte nicht abschlagen.«
Cliff grinste anerkennend und winkte dem Mädchen hinter der Bar. Hassos erleichterter Seufzer wirkte fast wie eine Startsirene ...
Aus vielen Gründen waren die Raumschiffbasen unterirdisch angelegt worden.
Hier, im Norden des australischen Kontinents, im Carpentaria-Golf, befand sich Basis 104. Zwischen Groote Eylandt und Duifken Point waren die Werften der Kreuzer untergebracht, die Zuleitungen für Energie und Nachschub, die technischen Einrichtungen und die Quartiere für die Bedienungsmannschaften. Die breiten Druckstollen und abzweigenden Korridore zogen sich vom Meeresgrund hinauf bis zum Festland; ein Netz von Bahnen und Rolltreppen besorgte den Transport. Ein Schott glitt auf.
Der Gang war schnurgerade und führte in die Vorkammern des Startfeldes. Es war ein rundgebohrter Stollen, etwa drei Meter im Durchmesser. Die Beleuchtung kam aus den Stellen, die den Boden bildeten; sie unterbrachen die glatte Fläche und gingen rechtwinklig in den Boden aus Plastikraster über. McLane und seine Mannschaft gingen durch diesen Korridor.
De Monti fehlte - er war bereits im Schiff.
Eine Druckschleuse, die das Startfeld gegen die anderen Anlagen absicherte, nahm die vier Leute auf. Die Wände und Portale der Schleuse konnten den Wasserdruck auffangen, der über der submarinen Basis lag. Hinter den Mitgliedern der Crew schloß sich fast lautlos die starke Stahlplatte.
»Kadett McLane mit Mannschaft auf den Weg!« murmelte der Commander leise.
Hasso Sigbjörnson grinste verstohlen.
Die äußere Pforte der Schleuse zog sich zurück. Die Crew ging hinaus auf die Startfläche. Der Stahlzylinder besaß einen Durchmesser von fast genau einem Kilometer, und in seiner Mitte stand die ORION VII. Die Scheinwerfer, die senkrecht entlang der Rundung nach oben strahlten, warfen ein bläuliches, spannungsgeladenes Licht auf die Szene. Der Boden der Basis, vor einem Jahrhundert aus dem unterseeischen Fels geschmolzen, war mit wuchtigen viereckigen Platten bedeckt, die den Eindruck von Sickerwasser verhinderten und die die Kräfte aushielten, die während der Starts und der Landungen frei wurden. Dreißig Mann vom Bodenpersonal waren zu sehen.
Sie räumten die Maschinen und Testgeräte weg, mit denen die ORION während der letzten achtundvierzig Stunden überholt worden war.
McLane und seine Leute gingen auf das Schiff zu.
Die ORION ruhte in zehn Metern Höhe auf einem Ring aus Antigravstrahlen. Die Kreise im Boden be-zeichneten die Stellen, an denen die Strahlen auftrafen. McLane bestieg als erster den Lift - eine schlanke Röhre, die aus dem Unterteil des Schiffes ausgefahren war und den Boden berührte. Seine Leute folgten.
Der Lift schloß sich, indem eine zweite zylinderförmige Muffe über den Einstieg glitt. Dann hafteten die breiten Bänder, und die hydraulische Vorrichtung zog den Lift nach oben in den Bauch des Schiffes.
Der flache, hervorragend geformte Diskus der ORION VII hatte einen Durchmesser von fünfzig Metern, und die Höhe von der Radarantenne bis zum Bodengrill des Liftes betrug zwölf Meter. Zwei über den Außenrand hinausragende Stahlstreben trugen in den verkleideten Spitzen die Geschütze des Raumkreuzers. Die summenden Maschinen empfingen die Mannschaft mit den vertrauten Geräuschen. Die Mannschaft verteilte sich in ihre Kabinen und zog sich um.
Drei Minuten später betrat Cliff die Kommandokanzel, einen runden Raum mit zehn Metern Durchmesser, der voller Instrumente und Geräte, Sessel und Verstrebungen war.
»Alles klar, Mario?« fragte Cliff und setzte sich in den Sessel vor dem Steuerpult.
Cliff schaltete eine Reihe von Tasten durch. Nacheinander flammten die konischen Beleuchtungskörper an der Decke auf, die kleinen Monitoren zwischen den verchromten Deckenstreben, die sich rings um die Kanzel hinzogen, die mächtige Scheibe des Kommandantenbildschirms vor dem Steuersessel, die Beleuchtung der Skalen und Chronometer.
Helga Legrelle, ebenfalls in den dunklen Bordoverall gekleidet, kam herein und setzte sich.
»Mario?« fragte McLane ruhig. »Programmierung überprüft?«
Die Stimme de Montis kam aus der Ecke, in der ein leuchtender eiförmiger Gegenstand zwischen Boden und Decke stand. Die Finger des Ersten Offiziers lagen auf der Eingabetastatur des Computers.
»Unser elektronisches Genie ist in Ordnung ... Aber fragt mich nicht, welche zauberhaften Mädchen des Kadettenkorps ich deswegen versetzen mußte!«
Helga Legrelle schaltete mit einer geübten Bewegung eine Reihe von Knöpfen an; lautlos erwachten die Armaturen zu geheimnisvollem Leben.
»Computer einwandfrei - Kurs und Flugkoordinaten?«
»In Ordnung, Cliff«, sagte de Monti.
»Bordkontrolle!«
De Monti setzte sich neben McLane an das Steuerpult und ging die wichtigsten Schaltungen durch.
»Kontrolle beendet«, sagte Mario nach einer Weile.
Hasso Sigbjörnson und Atan Shubashi, der Bordingenieur und der Astrogator, betraten die Kommando-kanzel und nahmen vor ihren Kontrolltischen Platz. Die Routineüberprüfung, die jedem Flug voranging, nahm ihren Fortgang.
Tamara Jagellovsk, Leutnant Erster Klasse, betrat über die schmale Treppe die Steuerkanzel. Niemand beachtete den Sicherheitsoffizier. Tamara blieb unschlüssig stehen. Dann lehnte sie sich gegen eine der schwungvoll verkleideten Verstrebungen und wartete. Tamara trug den >Kleinen Bordanzug<, eine dunkelgraue Hosenkombination.
Das elektronische Bordbuch lief bereits.
Hasso fuhr ein Mikrophon zu sich heran und sagte gegen das Lamellengitter: »Maschine an Kommandant: Künstliches Schwerefeld setzt bei Zeit minus sechs Sekunden ein.«
»Tamara Jagellovsk vom Galaktischen Sicherheitsdienst meldet sich an Bord«, sagte Tamara halblaut. Noch immer beachtete sie niemand, aber das Bordbuch hatte die Impulse gespeichert.
»Kommandant an Astrogator und Navigation«, sagte Cliff in sein Mikrophon, »Computer auf Steuerung und Automatik!«
»Rechenmaschine übernimmt bei Zeit minus zehn Sekunden, Chef!«
Atan Shubashi hantierte mit seinem Pultrechengerät.
Signale huschten über Mattscheiben. Lichtbänder flammten auf, und Helga Legrelle meldete: »Raumüberwachung hat sich eingeschaltet. Leitstrahl steht. ORION und Basis 104 in Funkkontakt mit Erdaußenstation IV.«
Sie legte einen Funkspruch auf die Bordkommunikation um. Aus den Lautsprechern dröhnte die Stimme der Startüberwachung, die in einer drucksicheren Kanzel am oberen Rand des stählernen Schachtes saß und das Startfeld übersehen konnte.
»Basis 104. Abschußkontrolle an Schnellen Raumkreuzer ORION VII ... Sie sind zum Start freigegeben.«
»Danke, Basis!« sagte McLane und schaltete die Verbindung aus. Die Lautsprecherstimme sprach weiter.
»Basis 104 übergibt weiter an Erdaußenstation IV.«
»Fertig zum Start«, sagte McLane. »Erste Beschleunigungsstufe. Andruckausgleich und Eigenschwerkraftfeld einschalten!«
Hasso und Atan bedienten ihre Schalter und Hebel. Betont lässig drehte sich McLane um und musterte Leutnant Jagellovsk. Dann sagte er so laut, daß es jeder - einschließlich des Bordbuchs - hören könnte: »Ach - Sie sind ja auch da!«
Tamara nickte und lächelte ihn sarkastisch an.
»Zum Start«, fuhr McLane ironisch fort, »brauche ich weder Ihre Hilfe noch Ihre Überwachung. Bitte begeben Sie sich jetzt in Ihre Kabine. Schalten Sie Ihre Sprechverbindung ein - es ist ein kleiner Knopf, unter dem BSA steht. Bordsprechanlage.«
Seine falsche Liebenswürdigkeit wurde ätzend.
»Falls Sie mich zu sehen wünschen, steht Ihnen das Videophon zur Verfügung. In dem eingebauten Schrank finden Sie Ihr Bordgepäck. Dazu ein Verpflegungsset für zwölf Monate, eine Paralysepistole -falls Sie sich zu paralysieren wünschen! Und wenn es Ihnen ganz schlecht gehen sollte, stehen Ihnen immer unsere Kälteschlafkammern offen.«
Er drehte sich um und beobachtete den runden Schirm.
»Sie würden mich nicht ungern einfrieren, nicht wahr, Major McLane?« fragte Tamara.
»Leider steht nicht zur Debatte, was ich will«, erwiderte McLane knurrend. »Legen Sie sich jetzt hin und schalten Sie das Schwerefeld der Kabine ein. Wenn Ihnen etwas passiert, heißt es womöglich noch, ich hätte einen Mordanschlag auf Sie verübt.«
Tamara schluckte etwas hinunter, drehte sich um und verließ den Raum. Sie stieg in den kleinen Lift, der sie hinunter auf Deck II brachte. Sie hörte, während sich die Lifttür schloß, die nächsten Kommandos des Majors.
»Hasso! Photonenaggregate halbe Kraft.«
Sigbjörnson drückte drei Knöpfe in das Armaturenbrett.
Ein dünnes, hohles Summen ging durch das Schiff und rüttelte an den Verstrebungen. Die Maschinen versetzten bei einer gewissen Umdrehungszahl die Zellen in Bewegung; dann wechselte die Frequenz, und das Metall beruhigte sich wieder.
»Ich bin auf Automatik und Kontrolle«, sagte Sigbjörnson.
McLane nickte und murmelte: »Gut. Dann wollen wir starten!«
Die Bodenkommandos hatten den Platz geräumt; er war leer und dunkel. Eine mechanische Stimme zählte rückwärts. Dann hob die ORION langsam ab. Gleichzeitig verstärkten sich die Projektoren und drückten das Wasser zur Seite.
Zuerst erschien in der gewaltigen Bucht ein Strudel, der seinen Radius vergrößerte, bis die Wand rasenden Wassers hinunter auf den Meeresgrund reichte. Wie ein Phoenix stieg die ORION langsam durch den Raum, hob sich über das Wasser, und der Strudel verringerte seine Drehungsgeschwindigkeit. Dann beruhigte sich das Meer wieder; an den Ufern würden ein wenig später schwere Brecher anbranden. Das Heulen der Maschinen verstärkte sich.
Der gewaltige Andruck des waagrecht startenden Schiffes, das seine Maschinen voll einsetzte, wurde von den Retardern abgefangen. Die ORION wurde schneller und durchjagte die Troposphäre und brach durch einen Streifen von Zirruswolken.
Zwanzigtausend Meter ... Mesosphäre: Ein Rudel Perlmutterwolken wurde durch den Sog auseinandergetrieben.
Heaviside-Schicht. Untere Appleton-Schicht. Thermosphäre. Die Konzentration der Gashülle wurde immer geringer. Exosphäre und Van-Allen-Gürtel. Die ORION war im freien Raum und jagte der Sonne entgegen.
Der riesige Digitalrechner an Bord arbeitete tickend.
Der Antrieb wurde jetzt, da die Frequenzen in Ultraschall übergegangen waren, leiser und schließlich völlig lautlos.
Hasso hob eine Hand.
»Willst du Tamara die gesamte Fahrt über in ihrer Kabine eingeschlossen halten? Das wäre in ihren Augen zweifellos Freiheitsberaubung, und das wiederum ist strafbar.«
Mürrisch sagte de Monti: »Wir werden diese Schnüfflerin schon kleinkriegen. Am Ende wird sie uns aus der Hand fressen.«
»Oder wir ihr«, warf Shubashi skeptisch ein.
»Daß ich nicht lache!« sagte Hasso. »Wir sind noch mit allem fertig geworden, was man uns in den Weg gelegt hat.«
Atan Shubashi, der gedrungene Astrogator der Mannschaft, wiegte unsicher den Kopf.
»Ich habe das Gefühl«, sagte er vorsichtig, »daß mit Leutnant Jagellovsk nicht besonders gut Kirschen essen ist.«
»Kirschen essen ist auch nicht gerade das, was ich mit ihr vorhabe«, sagte de Monti mit seinem gewohnten siegessicheren Grinsen.
»Alter Angeber!« sagte Helga nachdrücklich. »Wenn du glaubst, bei ihr auch nur eine winzige Chance zu haben ... «
»Helga-Mädchen ...«, erwiderte de Monti erstaunt und hob die Stimme, »du wirst doch nicht jetzt schon eifersüchtig sein?«
»Pah!« machte Legrelle nur.
Hasso beruhigte die Gemüter.
»Dies ist«, verkündigte er im Ton eines Rezitators, »ein Streit um des Präsidenten Bart. In meinen Augen ist Tamara ein als Mädchen verkleideter Robot, aber keine Frau.«
Der Erste Offizier betätigte eine Schaltung.
»Das werden wir ja feststellen können«, versprach er. Über seinem Pult erhellte sich ein Schirm. »Wir sehen einmal nach, was sie macht.«
Tamaras Kabine wurde sichtbar. Der GSD-Offizier saß mit angezogenen Beinen auf der Liege und las in einem schmalen Buch. McLane drehte die ferngesteuerte Linse auf schärfste Vergrößerung und konnte jetzt den Titel lesen.
»Das war ein Eingriff in die Intimsphäre«, sagte er. »Wenn du sie sehen oder sprechen willst, melde dich über BSA, wie sich das gehört.«
»Man wird doch noch mitlesen dürfen«, erwiderte Mario grinsend. Dann drückte er den Knopf BSA neben seinem Pult und sprach ins Mikrophon: »Leutnant de Monti an Sicherheitsoffizier Jagellovsk: Sind Sie sprechbereit? Dann schalten Sie bitte Ihr Videophon ein.«
Sofort war wieder Tamara zu sehen.
»Bitte?« fragte sie.
De Monti probierte seinen konzentrierten Charme aus und lächelte verbindlich.
»Eine außerdienstliche Frage, Leutnant Jagellovsk. Hätten Sie nach erfolgtem Start Lust auf einen Schluck Whisky in meiner Kabine?«
Ohne zu lächeln, erwiderte Tamara sofort: »Eine dienstliche Frage: Haben Sie den Whisky?«
»Aber«, sagte de Monti fast beleidigt, »eine ganze Kiste!«
Tamaras Gesicht kam näher an die Scheibe des Monitors heran.
»Sehr interessant. Ich danke Ihnen sehr für die Information. Ich werde darüber eine Meldung machen müssen.«
Das Videophon erlosch; sie schaltete es in ihrer Kabine aus.
McLane, Hasso, Helga und Shubashi fingen zu lachen an, während de Monti wie ein nasser Vogel vor seinem Pult saß und sich im Genick kratzte. In das Gelächter hinein kam die Meldung von Shubashi.
»Astrogator an Kommandant!«
»Ja?« fragte McLane hastig und drehte sich um.
»Ich habe eine Durchsage von der Sonnenwetterstation
Das Prasseln und Knattern von Störungen erfüllte die Kabine. Dann kam die automatische Stimme eines endlosen Bandes durch; stark überlagert durch die Eruptionen der Sonne.
Tamara Jagellovsk kam zurück in die Steuerkanzel und lehnte sich wieder an die verkleidete Strebe. Wieder hämmerten die Störungen, durchbrochen von Pfeiftönen, durch die Kabine.
Cliff McLane schaltete den Autopiloten ab und leitete eine geringfügige Kurskorrektur ein. Der mächtige Körper der ORION kippte leicht und wich von der Geraden ab, die ihn ans Ziel führen sollte. Noch immer flog der Diskus Unterlichtgeschwindigkeit und war für die Vorgänge im Normalraum eine große Zielscheibe.
»...
Die Störungen machten den Rest der Durchsage unverständlich.
»...
McLane sagte laut: »Aus. Schalte ihn ab, Atan! Wir gehen sofort auf die Ausweichkoordinaten der Fluglinie. Maschine besetzen. Rechner einschalten!«
Tamara blieb neben McLanes Pult stehen.
»Höre ich richtig?« fragte sie. »Andere Koordinaten?«
»Natürlich«, knurrte McLane. »Sind Sie etwa lebensmüde?«
»Nein. Ich ersuche jedenfalls darum, daß Station IV von unserer Kursänderung unterrichtet wird, Major McLane!«
Hasso warf einen langen Blick auf McLane und einen zweiten, noch längeren auf Leutnant Jagellovsk und verließ ruhig und unauffällig die Steuerkanzel, um seinen Platz zwischen den Maschinen des untersten Decks einzunehmen. Ein Lift brachte den Ingenieur nach unten. Shubashi wandte sich an Tamara.
»Der Außenstation ist es völlig gleichgültig, ob und wie wir den Kurs ändern, Leutnant. Glauben Sie, die könnten helfen?«
»Sonneneruptionen in der Chromosphäre des Gestirns entwickeln Geschwindigkeiten von siebenhundert Sekundenkilometern. Sie verursachen Störungen der Ionosphäre und legen den Funkverkehr lahm. Diese Partikelstrahlen bestehen aus Protonen und Elektronen und können in Sonnenferne bis zu zweitausend Sekundenkilometer erreichen. Unser Schiff wäre sehr gefährdet, wenn wir die Flugrichtung beibehalten.«
Tamara wiederholte ihre Aufforderung lauter und dringender.
»Bei einem Sonnensturm bricht der gesamte Funkverkehr in mindestens einem Kubus zusammen. Soll ich dem Satelliten eine Flaschenpost schicken?« sagte Cliff.
McLane beobachtete seine Geräte und kontrollierte den Kurs. Shubashi stand am Computer und programmierte die Zahlenreihen um. Legrelle arbeitete an dem Funkpult und versuchte, einen vernünftigen Text aus dem Wirrwarr der Störungen herauszufiltern. Vergebens.
Leise sagte das schwarzhaarige Mädchen mit der kleinen Nase: »Wir hatten Angst, daß es ein gräßlich langweiliger Flug werden würde.«
Die ersten Partikel hämmerten in den Schutzschirm, der um den Diskus lag. Ein knisterndes Geräusch, als würde eine unsichtbare Kraft das Metall der Zelle zerdrücken, ging durch das gesamte Schiff.
»Achtung!« sagte Helga laut. »Schiffswarnung. Ich habe die Impulse eines Randausläufers. Cliff - bitte ein Ausweichmanöver.«
Die ORION kippte und wich der Randzone aus. Da das Schiff eine wesentlich höhere Geschwindigkeit flog, als sie die Partikel je erreichen konnten, berührte der Diskus nur einzelne Ausläufer der anbrandenden Wellen. McLane hatte einen Kurs gewählt, der das Schiff entlang einer Reihe dieser Ausläufer führte.
So ritt die ORION VII, wie ein Kieselstein, der von Welle zu Welle springt, entlang der sich ausbreitenden Wolke aus der Sonne. Nur noch einige Minuten trennten das Schiff von dem ersten Hyperraumsprung, aber die Automatik würde den Menschen die Arbeit abnehmen.
Shubashi saß in seinem wuchtigen Schaumstoffsessel mit den lose herunterhängenden Gurten. Neben ihm standen Helga Legrelle und Tamara Jagellovsk. Auf dem großen Schirm sah man das unvergleichliche Schauspiel der Kaskaden aus verschiedenfarbigem Feuer, die sich bildeten, wenn die Grenze des Schutzschirms mit den Photonen in Berührung kam. Tamara war nervös; das sah jeder.
»Haben wir es geschafft?« fragte sie etwas unsicher.
»Wir schaffen es immer, Leutnant«, sagte Helga Legrelle. »Unsere Crew und McLane ...«
Genau in diesem Moment erschütterte eine schwere Explosion das Schiff.
4.
»Was ... « schrie Tamara.
Legrelle winkte uninteressiert ab.
»Nichts«, sagte sie und lächelte kurz. »Es kracht nur.«
»Wenn die Strahlungsstärke das Vielfache beträgt«, fragte Tamara unschlüssig, »warum benötigt die ORION nicht auch das Vielfache an Abschirmung?«
Helga Legrelle deutete auf die Außenwand.
»Der Schutzschirm, dann die Wandung, schließlich die Dämpfungsschicht. Dann kommen die Zellen für Sauerstoff, Wasser, Ladung, der Werferstand, schließlich noch eine Isolierung, dann die Wandung der inneren Hülle ... «
Gereizt sagte Atan Shubashi: »Das ist für mich hochinteressant! Könntest du deinen Anfängerunterricht nicht woanders abhalten, Helga? Nach Möglichkeit außerhalb des Schiffes!«
Eine zweite Explosion und ein folgender, harter Schlag erschütterten das Schiff. Wieder beruhigte Helga den Leutnant.
»Was ist dir über die Leber gelaufen, Atan?« fragte sie weiter.
Atan breitete in einer bedauernden Bewegung beide Arme aus.
»Zweihundertvierundsechzig hat Würmer«, erklärte er düster. »Und ich bin nicht bei ihm!«
»Das ist aber tatsächlich mehr als ärgerlich!« sagte Helga mit Nachdruck. »Ich kann deinen Ärger verstehen, Atan.«
»Wenn mir jemand erklären würde, was >Zweihundertvierundsechzig< bedeuten soll!« sagte Tamara.
Helga erklärte es ihr.
»Es ist sein schwarzer Pudel, ein süßes Tier. Einer der dreihundertsechsundsiebzig Pudel, die es noch gibt.«
Ärgerlich sagte Leutnant Jagellovsk: »Sie haben Sorgen! Wir kämpfen uns eben unter Lebensgefahr an einem Sonnensturm vorbei, und Sie jammern wegen eines Hundes ...«
Die dritte Explosion und das häßliche Knirschen, das ihr folgte, waren heftiger. Diesmal ging ein Ruck durch die Kommandozentrale. Irgendwo zerschellte Glas.
»Was ist das?« fragte Tamara und klammerte sich an dem Pult Shubashis fest.
»Was meinen Sie?« fragte Atan gespielt harmlos.
Eine Reihe knatternder Geräusche und ein Schaukeln warfen die Besatzungsmitglieder fast aus den Sesseln.
»Das ist ja ...!« rief Tamara. »Wir explodieren!«
Helga und Atan wechselten ein bedeutungsvolles Lächeln. Von seinem Platz aus sagte Mario de Monti: »Natürlich explodieren wir.«
Tamara blickte ihn entsetzt an. Man sah deutlich, daß sie sich fürchtete.
»Das ist etwas«, belehrte sie de Monti mit erhobenem Zeigefinger, »womit wir Raumfahrer ständig rechnen müssen. Damit und mit einer Serie noch schlimmerer Dinge.«
Tamara ging langsam rückwärts, an die Strebe gelehnt, die McLanes Pult gegen die Decke abstützte und mit Helga Legrelles Funktisch verband. Der weibliche Sicherheitsleutnant klammerte sich dort an.
»Aber - Major McLane! Da muß doch etwas geschehen!« sagte sie in panischem Erschrecken. Eine erneute Detonation erschütterte die ORION VII.
McLane drehte einen schweren gläsernen Schalter herum und stand auf. Er blieb neben seinem Sessel stehen, der leicht nachfederte.
»Es wird auch etwas geschehen«, versprach er nik-kend.
»Was werden Sie tun, Major?« fragte Tamara.
»Ich gehe etwas essen«, sagte McLane seelenruhig und wandte sich an Mario de Monti, der ebenfalls aufstand.
»Glänzende Idee«, sagte der Erste Offizier und streichelte seinen Magen. »Werde ich eingeladen?«
McLane nickte ruhig und blinzelte Mario blitzschnell zu.
»Selbstverständlich. Steak oder Wildpastete?«
Nebeneinander verließen sie die Steuerkanzel, stellten sich in die kleine Liftkabine und warteten, bis der Boden der Kabine aufstieß. Tamara Jagellovsk starrte ihnen sprachlos nach. Während das Schiff eine weitere Schlingerbewegung machte, wußte Tamara, daß McLane und seine Crew wirklich harte Brocken waren - sogar für einen Offizier des Sicherheitsdienstes. Sie dachte an die kommenden sechsunddreißig Monate, und plötzlich hatte sie nicht einmal mehr Lust auf de Montis verbotenen Whisky.
Der flache Diskus der ORION war ein vollständig integrierter Mechanismus, dessen einzelne Teile in Vollendung zusammengefügt waren; sämtliche Einrichtungen waren aufeinander abgestimmt. Das Schiff ritt wie ein Schoner die Sturmausläufer ab, berührte mit zunehmender Geschwindigkeit nacheinander die Energiefinger, die sich in den solaren Raum hinausreckten. Die Automatik versetzte dem Schiff jedesmal einen Stoß, ohne es dabei aus der Richtung zu bringen - der Kurs blieb konstant. Die Explosionen waren nichts anderes als die Arbeitsgeräusche der Prallfeldmaschinen, die sich blitzartig entluden. Das war es, was Tamara nicht wußte.
Während die letzten Erschütterungen durch das Schiff gingen, erreichte die Geschwindigkeit den kritischen Wert. Die Maschinen des Hyperraumantriebs packten zu und warfen die ORION aus dem dreidimensionalen Raum.
Nach zwei Tagen Transitionsflug in einer sternen-losen Umgebung würde die ORION VII in einer Entfernung von 448 Parsek wieder rematerialisieren. Dort befand sich das Zielgebiet. Die Rüttelbewegungen hörten schlagartig auf.
Das milde Licht in McLanes Kabine nahm die beiden Männer auf. McLane ging langsam an die Aufbereitungsanlage heran. Er stellte auf der Wahlschaltung die Gerichte zusammen, die binnen Sekunden aus dem Vorrat des Schiffes geholt und erhitzt wurden. De Monti holte aus einem zweiten Fach viereckige Teller aus schwerem Plastik und schob sie nebeneinander in die Ausgabeschlitze des weißlackierten Schrankes.
Die Stille des Hyperraumflugs herrschte in der Kabine. De Monti ließ eine Kassette einrasten. Musik war zu hören, und der Erste drosselte die Lautstärke.
»Sag mal, Cliff«, begann de Monti und lehnte sich gegen die Tischkante, »ein bißchen knapp bist du ja an dem Strahlungszentrum schon vorbeigeflogen. Es hat die ORION ganz nett durchgerüttelt. Mußte das sein?«
McLane sagte unschuldig: »Die Dame vom GSD sah es nicht gern, daß wir die Koordinaten ändern wollten. Also änderte ich sie so knapp wie möglich. Jetzt kracht es eben entsprechend - die ORION hat schon ganz andere Dinge ausgehalten.«
»Ich verstehe«, sagte de Monti.
»Hoffentlich versteht es Leutnant Jagellovsk auch«, erwiderte McLane.
»Glaubst du, sie auf diese Art und Weise loswerden zu können?«
McLane sah ihn zweifelnd an und deutete auf das Kontrollicht, das rot aufleuchtete.
»Ich versuche alles«, gab er zur Antwort.
Das Fach war mit einer automatischen Auslösevorrichtung versehen. Langsam glitten zwei Teller aus dem Schlitz und blieben auf der Platte davor stehen.
»Hübsch ist sie eigentlich schon«, sagte de Monti und überlegte, ob er einen zweiten, geschickteren Vorstoß unternehmen sollte.
»Eine Kobra ist auch hübsch«, antwortete McLane und balancierte die Teller auf die Tischplatte. Die Männer setzten sich und begannen, mit großem Genuß zu essen.
»Eines ist jedenfalls sicher«, sagte de Monti plötzlich, blickte auf und deutete mit der Gabel auf Cliff. An den Zinken war ein riesiger Happen des Steaks aufgespießt. »Tamara Jagellovsk tut keine drei Jahre Sicherheitsdienst bei uns. Entweder ist sie nach den ersten drei Einsätzen irrenhausreif ... «
»Oder?« fragte McLane kauend.
»Sie ist Kommandant der ORION!« schloß de Monti mit Nachdruck. Das Essen verlief schweigend.
*
Zehn Minuten, nachdem die ORION VII wieder in das normale Raumgefüge zurückgekehrt war, befanden sich die sechs Menschen wieder in der Kommandozentrale. Der Grund war ein Annäherungsalarm gewesen, der McLane aus dem Schlaf und seine Crew an die Geräte gescheucht hatte. Auf dem runden Schirm war ein rätselhafter Gegenstand abgebildet, der in zwei Lichtsekunden Abstand vor der ORION im Raum schwebte. Der Kreuzer besaß im Augenblick fast keine Eigengeschwindigkeit mehr.
»Was ist das?« fragte Tamara.
Er sah aus wie ein abgestorbenes versilbertes Insekt mit übergroßen viereckigen Flügeln. Das Objekt drehte sich langsam und träge um eine Achse, um die es sich nicht hätte drehen dürfen.
»Abstand 488 980 Kilometer«, sagte Helga Legrelle.
»Das ist ein Funksatellit«, sagte McLane mit einer Andeutung von Höflichkeit. »Vermutlich einer, der nicht mehr funktioniert. Bekommst du Kontakt, Atan?«
Shubashi hantierte wütend an seinen Instrumenten und horchte die gesamte Länge des Frequenzbandes ab.
»Nichts!« sagte er. »Das Ding hängt dort draußen wie ein taubstummer Vogel!«
De Monti verstaute das Typenbuch wieder unterhalb seines Pultes und verkündete laut: »Das ist ein Funksatellit Typ SKft 77. Vermutlich ist er gestört. Er sollte auf der stehenden Wasserstoffwelle senden, Atan. Findest du dort nichts?«
»Ich sagte es bereits«, erwiderte Shubashi.
»Außerdem ein veraltetes Modell«, sagte McLane. »Es stellt eine Gefahr für die gesamte Schiffahrt dar. Notiere bitte die genauen Koordinaten und die Drift, sprich alles auf Bordbuch und schieße es ab, Mario!«
»In Ordnung, Chef!« sagte Mario militärisch knapp und stand auf, um links unter der Kommandokanzel seinen Sitz im Werferstand einzunehmen.
Tamara schaltete sich augenblicklich ein. Das hatte Cliff befürchtet.
»Sind Sie dazu befugt, Commander McLane, einen wertvollen Funksatelliten einfach zu zerstören?«
Cliff holte tief Atem, lehnte sich zurück und sagte langsam: »Mein liebes Kind ...«
Eisig antwortete Tamara: »Ich bin weder lieb noch Ihr Kind, Commander. Ich bin, falls es Ihnen entfallen sein sollte, der verantwortliche GSD-Offizier und verbiete Ihnen, den Satelliten abzuschießen. Dieser Körper dort hat einen Wert von neunhunderttausend Credit und ... «
»Dieser Körper dort draußen, mein liebes Kind«, sagte McLane und bemühte sich weiterhin, seine Fassung nicht zu verlieren, »hat überhaupt keinen Wert mehr. Im Gegenteil: Er stellt eine Gefahr für sämtliche Raumschiffsbesatzungen dieses Raumkubus dar.«
»Aus welchem Grund?«
McLanes Geduld wurde auf eine mehr als harte Probe gestellt. Er versuchte zu erklären.
»Erstens können Schiffe mit diesem Körper kollidieren. Er sendet nämlich keinen Peilton mehr. Zweitens erhalten Schiffe, die ihn als Relaisstation oder als Nachrichtenspeicher benutzen wollen, keine Verbindung. Drittens sind alle diese Körper so eingerichtet, daß sie lange funktionieren. Tun sie es einmal nicht mehr, dann sind sie so unbrauchbar wie Schrott. Leuchtet das Ihnen ein, Leutnant Jagellovsk?«
Ironisch gab Tamara zur Antwort: »Glauben Sie nicht, daß es eine bestimmte Station, ein Schiff oder jemanden gibt, der bereits festgestellt hat, daß der Satellit nicht mehr arbeitet?«
»Sie haben wirklich keine Ahnung!« flüsterte McLane, erstaunt ob soviel Unwissenheit. »Nicht einmal ich weiß, wie viele Satelliten, Meßsonden und Radarautomaten in sämtlichen Sektoren und Kuben unseres Kontrollbereichs umherschwirren. Sollte es eine Stelle geben, die sich um defekte Satelliten kümmert und sie auch noch repariert, dann lasse ich mich erschlagen - von Ihnen!«
Was McLane an Hartnäckigkeit besaß, hatte Tamara an Geduld.
»Ich warne Sie, Commander!« sagte sie. »Vermutlich ist bereits ein Technokreuzer unterwegs, um den Schaden zu untersuchen. Sie vernichten den Satelliten nicht!«
Eine ganze Weile lang geschah nichts.
Man hörte das Summen der Maschinen und das trockene Knistern der Luftumwälzanlage. McLane starrte Tamara an, und der Leutnant gab den Blick ungerührt zurück. Cliff kämpfte einen schweren lautlosen Kampf in seinem Innern. Sein besseres Ich siegte mühsam. Mit nahezu überirdischer Ruhe drehte sich der Commander um, winkte Mario und sagte leise: »Leutnant de Monti! Sprechen Sie auf Bordbuch: Die GSD-Beamtin Jagellovsk verbietet den Abschuß des funktionsunfähigen Funksatelliten auf den Koordinaten sowieso und so weiter. Der Kommandant geht wieder schlafen.«
McLane stand auf und ging zum Lift, ohne jemanden anzusehen. Als er dicht vor der Tür stand und sie sich langsam zurückschob, rief Atan Shubashi plötzlich: »Ich fürchte, der Kommandant geht nicht schlafen. Cliff - wir stehen dicht vor MZ 4.«
»Natürlich. Etwa drei Lichtminuten. Und ...?«
Shubashi sagte: »Clarence meldet sich nicht. Er müßte uns schon lange im Radar haben.«
»Was?« schrie McLane. Er war mit drei Sätzen wieder vor seinem Pult. Auf dem Schirm vor dem Kommandopult war die Vergrößerung des Satelliten zu sehen.
Von seinem Platz aus sagte Hasso nachdenklich: »Merkwürdig - MZ 4 meldet sich nicht. Das gab es noch nie!«
»Was ist MZ 4?« fragte Tamara schnell und wandte sich an Helga.
»Ein Asteroid«, sagte der Funkoffizier. »Ein Felsbrocken mit einem Kilometer Durchmesser. Man hat ihn vor fünfunddreißig Jahren eingefangen, mit einem Atomtriebwerk ausgerüstet und hier in eine stabile Bahn gebracht.«
Ein dunkelgrauer Mond, nur undeutlich vom Licht einiger ferner Sonnen aus der kosmischen Schwärze hervorgehoben, stand unbeweglich auf dem kreisrunden Schirm. Tamara richtete ihren Blick darauf.
»Wozu?« fragte sie.
»MZ 4 dient als Relais- und Fernmeldestation.«
»Und wer ist Clarence?« fragte der Leutnant weiter.
»Er ist Stationschef«, erklärte de Monti und deutete auf das Bild. »Außerdem ein Freund von uns. Wenn er sich nicht meldet, ist er entweder betrunken oder -tot.«
McLane sagte zu Shubashi: »Gehe bitte noch einmal auf die Wellenlänge und rufe den Satelliten.«
Lakonisch erwiderte Shubashi: »Ich bin auf der Wellenlänge. Nichts!«
Vierhundertachtundvierzig Parsek von Terra entfernt hing der Asteroid im Raum und schwieg. Er diente den Raumschiffen, die in diesem Kubus operierten, als Funkfeuer und als Relaisstation für ihre Hyperfunkverbindung mit der Erde. Es war so gut wie unmöglich, daß die Funkanlage ausgefallen war -sie existierte doppelt und war entsprechend gesichert. Außerdem waren die Männer der Stationsbesatzung in der Lage, sie reparieren zu können.
Shubashi wiederholte seinen Ruf.
»ORION VII ruft MZ 4. Clarence, bitte melden ... Wir wollen nichts anderes als einen Funkkontakt.«
»Hier!« sagte Helga und drehte einen Verstärker. Verworrene Funkzeichen eines nicht benützten Kode waren zu hören.
»Na also!« sagte de Monti beruhigt. »Sie leben noch.«
McLane hob die Hand und hörte einige Sekunden lang zu. Plötzlich schien der glitzernde, mit verwirrenden technischen Geräten ausgestattete Raum der Kommandokanzel von einer unfaßbaren Gefahr erfüllt, von der Ahnung kommenden Unheils.
»Das«, sagte der Commander dann, »sind Dreiergruppen, die ich in meinem ganzen Leben nicht gehört habe.«
»Soll ich das Schiff näher heranbringen?« fragte Hasso ruhig.
»Ja. Auf jeden Fall. Ich muß wissen, was ...«
»Commander!«
Die Stimme Tamaras war kühl und befehlsgewohnt wie vor den Ereignissen nach dem Start. Sie schien sich schlagartig wieder ihrer Funktion besonnen zu haben.
»Bitte?« fragte McLane zerstreut. Er dachte an wichtigere Dinge als an den GSD-Offizier.
»Sie haben eindeutige Weisung, Ihr Operationsgebiet so schnell wie möglich zu erreichen!«
»Wir sind im Operationsgebiet«, erwiderte McLane kurz angebunden und wandte sich an Atan Shubashi.
»Schalte einen Verstärker ein und nimm die Funkzeichen aufs Bordbuch auf. Helga!«
»Klar!« sagte der Funkoffizier.
Unverständliche Funkzeichen, gestaffelt in Dreiergruppen, schlugen gegen die Trommelfelle der Besatzungsmitglieder. Sie klangen wie Signale aus einer anderen Welt, und was sie bedeuteten, war nicht klar. Nur eines stand fest: Diese Zeichen sandte nicht Cla-rence, und sie bedeuteten Gefahr.
»Hört euch das an!« sagte McLane halblaut und deutlich. »MZ 4 ist wahnsinnig geworden. Vermutlich ist der Integralrechner gestört. Das ist ein sinnloser, verrückter Kode.«
Tamara tippte McLane auf die Schulter. Der Commander fuhr herum und starrte die Frau an, als sähe er sie zum erstenmal.
»Ja?« fragte er knurrend.
»Ist es für Ihren Auftrag wichtig, Commander«, fragte sie, »ob MZ 4 wahnsinnig ist oder nicht?«
In der Kommandokanzel breitete sich Totenstille aus. Bedächtig sagte McLane:
»Wenn Sie eine von uns wären, Leutnant, würde ich Ihnen sagen, daß es uns nicht gleichgültig sein kann und darf, was mit unserem Freund Clarence los ist. Da Sie aber nur Sicherheitsbeamtin sind, habe ich eine andere Antwort für Sie: Laut Raumüberwachungsdaten unseres Computers wird in achtundvierzig Stunden der automatisch gesteuerte Raumkreuzer CHALLENGER MZ 4 passieren. Er soll von dort eine Kurskorrektur erhalten.«
Shubashi, der seinen Chef kannte und wußte, was zu tun war, vergrößerte erneut die Lautstärke der fremden Funkimpulse.
»Falls die CHALLENGER aber statt dessen das hier bekommt, gibt es eine Katastrophe. Vermutlich wird dann der Kreuzer gegen den Asteroiden rasen.«
Tamara senkte den Kopf.
»Das leuchtet mir ein«, sagte sie. »Aber - haben Sie nicht die Möglichkeit, das Elektronengerät der CHALLENGER mit einer Kurskorrektur umzuprogrammieren?«
McLanes Lächeln war nur als grimmig zu bezeichnen.
»Wenn Sie mir nicht verboten hätten, den Satelliten zu zerstören, hätte ich die Möglichkeit gehabt. Da aber dieser Funksatellit die fremden Zeichen ebenfalls aufnimmt und weitergibt, würden sich die drei Funkgeräte gegenseitig stören: Unseres, das von MZ 4 und das des Satelliten. Es ist unmöglich, die CHALLENGER umzuprogrammieren.«
Shubashi und de Monti wechselten einen schnellen Blick.
Tamaras Lage war schwierig; sie hatte gegen fünf aufeinander eingespielte Mitglieder zu kämpfen. Tamara steckte den Schlag regungslos ein und fragte: »Was werden Sie also tun?«
»Wir landen auf dem Asteroiden und versuchen, die Störung zu beheben.«
»Gut«, stimmte Tamara zu. »Sie wissen aber, was bei Ihrem Vorleben eine eigenmächtige Kursänderung bedeuten kann?«
»Natürlich«, sagte McLane kurz. »Der einzige Trost ist, daß Sie Ihre Meldung erst nach der Landung auf Terra machen werden. Bis dahin sind mir mehr Ausreden eingefallen, als Sie sich vorstellen können.«
Die ORION nahm etwas Fahrt auf. Sie bewegte sich lautlos und ohne Energieemission auf den langsam näher kommenden Ball aus Gestein zu und verringerte dann ihr Tempo. Der Diskus schlug eine Kreisbahn ein, umrundete auf drei verschiedenen Orbits den öden Körper und blieb in einem Kilometer Entfernung über der Kuppel stehen. Die Geschwindigkeiten beider Körper waren einander angepaßt worden. Ein prickelndes Gefühl der Spannung bemächtigte sich der Mannschaft. Sie versammelte sich um den Schirm des Kommandanten und starrte das Bild an. Funkmasten, Radareinrichtung hinter einer Kunststoffkuppel und die schimmernde Fläche der Kuppel, unter der die Menschen lebten, unter der die riesige Rechenmaschine stand, die Verbindungsgänge und der kleine Landeplatz für die Verbindungsboote. Daneben sah man den Schacht für eine Magnetlandung, die ein Beiboot Typ LANCET vornehmen konnte.
»Verdammt!« knurrte McLane. »Dort ist etwas passiert.«
Nichts rührte sich ... Nur diese fremden Funkzeichen drangen noch immer leise aus den Lautsprechern.
5.
448 pc ... Vierhundertachtundvierzig Parsek von Terra entfernt. Ein Parsek mißt 3,26 Lichtjahre, die Entfernung, die das Licht in dieser Zeit zurücklegt. Das war die gedachte Linie eines kugelförmigen Raumes mit neunhundert Parsek Durchmesser. Hier war die Grenze. Das Gebiet dahinter war, abgesehen von vereinzelten Vorstößen der Pioniereinheiten, unbekannt.
Clarence und seine Männer waren einer der Außenposten; ihr Dienst war gefährlich, und der Kontakt mit der Heimat Terra beschränkte sich auf die Funkverbindungen und auf gelegentliche Besuche von vereinzelten Schiffen. Die ORION hing unbeweglich über dem felsigen Asteroiden ohne Lufthülle, ohne eine Spur von Leben, ohne Licht.
Über die Bordsprechanlage kam McLanes Stimme, knapp und beherrscht: »Antrieb stillegen. Generatoren abschalten. Schiff an MZ 4 verankern.«
Der Erste Offizier schaltete die Geräte ab. Das Summen des Antriebs verstummte.
»Wir stehen genau neunhundert Meter über dem Asteroiden, Cliff«, sagte Helga Legrelle, die eine Messung durchgeführt hatte.
»Und ich empfange immer noch diese verstümmelten Dreiergruppen«, meldete Shubashi und deutete auf die schweren Kopfhörer über seinen Ohren. »Völlig unerklärlich, woher ... «
»Wir werden nachsehen«, sagte McLane. »Ich brauche zwei Freiwillige.«
»Gewöhne es dir doch endlich einmal ab, nach Freiwilligen zu suchen! Niemand geht freiwillig«, sagte Hasso. »Wozu brauchst du mich?«
McLane lachte kurz und freudlos.
»Danke. Du gehst also und nimmst Atan mit.«
»In Ordnung!« sagte Shubashi.
»LANCET I ... Abschußkanal fertigmachen. Druckanzüge anlegen, Waffen mitnehmen!«
Shubashi schüttelte den schmalen Kopf und blickte zu seinem Chef hinüber.
»Wozu die Druckanzüge, Cliff? Die Sauerstoffanlage von MZ 4 ist besser als unsere!«
»Wo eine Funkanlage verrückt spielt, kann auch die Sauerstoffanlage nicht funktionieren. Macht, daß ihr in die LANCET kommt!«
Mit energischen Schritten verließen de Monti, Atan Shubashi und Sigbjörnson die Kommandokanzel. Tamara setzte sich neben McLane in den leeren Sessel und fragte leise: »Warum tun Sie das, Major?«
»Würden Sie an meiner Stelle anders handeln?« fragte McLane aggressiv zurück.
»Ich habe mich an meine Order zu halten«, erwiderte Tamara und betrachtete das Gesicht McLanes.
»Auch ein Robot hält sich nur an seine Order, Leutnant«, gab McLane zu bedenken.
Tamara grinste. »Seit ich Sie kenne, Major, verehre ich die Robots. Sie tun wenigstens ihre Pflicht.«
Cliff zuckte seine Schultern.
»Wozu sind nach Ihrer Meinung dann eigentlich noch Menschen zu gebrauchen?«
»Sie haben nicht ganz unrecht, Major«, sagte Tamara leise und deutete auf die Lichtsignale, die den Weg der drei Personen durch das Schiff markierten. »Ein Robot würde schneller als jeder Mensch ausrechnen können, was dort bei Clarence nicht stimmt.«
Nicht ohne Interesse verfolgte Helga das Gespräch. Zwei Körper, die wie eine Kreuzung zwischen einer Kugel und einem linsenförmigen Objekt aussahen, auf der Oberschale mit einer Anzahl kleiner Plexol-kuppeln ausgerüstet waren und eine Schleuse besaßen, befanden sich auf beiden Seiten der zentralen Kommandokanzel im Schiff. Zwei Schleusensysteme der ORION-Oberfläche schlossen die Startschächte ab. Ein Magnetfeld startete die LANCET.
Sigbjörnson und Shubashi kamen den gewundenen Gang entlang, während de Monti den Kontrollstand betrat. Die beiden Männer schlossen die Säume ihrer enganliegenden Raumanzüge mit den durchsichtigen Helmen und blieben vor der Schleuse des Beibootes stehen. Mit einem Knistern erwachte der Helmfunk.
»Alles klar, Hasso?« fragte Atan und tastete nach dem Griff der Strahlwaffe.
»Die Aggregate funktionierten zuverlässig wie immer, Atan!« erwiderte Hasso und drückte auf den großdimensionierten Schalter. Geräuschlos verschwand die äußere Schleusentür im Rumpf des Bootes. Hinter den Männern fuhr die Drucksicherung in die Kontakte; sie schützte das Schiffsinnere vor dem Vakuum des Alls.
Die Männer bestiegen den Körper an der Unterseite, schlossen beide Schleusentüren und gingen die Schrägfläche hoch. Die LANCET war nicht mehr als eine plattgedrückte Hohlkugel mit zahlreichen Versorgungseinheiten und einem karg ausgestatteten Inneren.
»LANCET I fertig zum Abschuß!« ertönte es über die Bordsprechanlage.
»Danke, LANCET!« sagten McLane und de Monti wie aus einem Munde. De Monti kontrollierte die einzelnen Anzeigen seines Armaturenbretts.
»LANCET, bitte T.O.R.B.« sagte er knapp.
Sigbjörnson nahm die Überprüfung der Aggregate vor.
»Treibstoff und Maschine - klar!« sagte er. »Oxy-gen - klar. Radio - einwandfrei. Batterien - volle Ladungen.«
Bordsprechanlage: »Commander, wir sind soweit!«
McLane stand über Videophon mit der LANCET und mit de Montis Startkabine in Verbindung. Der Commander sagte: »Start freigegeben.«
»... vier - drei - zwei - eins - null!«
Drei Dinge geschahen fast gleichzeitig. Sie brachten den kugelförmigen Körper, der acht Meter Durchmesser besaß, vom Schiff weg.
De Monti öffnete die Schleuse, schaltete die magnetische Rampe ein und sah, daß die Blöcke auf den Startschienen nach oben schnellten. Sie hingen an der Wandung der LANCET fest und schoben, mit einer Beschleunigung von nur vier g, das Beiboot senkrecht aus der ORION.
Dann, nachdem die Magnete abgefallen waren, schloß sich die Schleuse wieder. Die LANCET war im Raum ...
McLane, Helga Legrelle und Tamara Jagellovsk beobachteten den Sichtschirm vor dem Pult. Deutlich sichtbar schwebte die LANCET mit den zwanzig erleuchteten Kuppeln zwischen dem Schiff und dem Asteroiden. Dann feuerte Hasso kurz mit den Triebwerken und steuerte die Kugel »hinunter« auf den Asteroiden. Über Bordsprechanlage kamen die ge-murmelten Sätze, mit denen sich Hasso und Atan in der LANCET verständigten.
Der Monitor direkt über McLanes Blickfeld zeigte einen Ausschnitt der kleinen Kabine. Schweigen. Niemand wagte ein Wort zu sagen.
McLane hatte ein Gefühl für Gefahren; er war schon sehr lange im Raum. Er wußte nicht, was auf MZ 4 vorging, aber er wußte, daß Atan und Hasso einem Geheimnis entgegensteuerten. Es war eine Ahnung, die sich nicht durch sachliche Fakten begründen ließ.
»Hasso?« fragte er endlich.
Das Beiboot war nur noch hundert Meter von der Oberfläche des Asteroiden entfernt.
»Ja?«
»Könnt ihr etwas Ungewöhnliches erkennen?« fragte der Commander besorgt.
»Nichts, Cliff. Wir sehen nur, daß alles wie ausgestorben liegt.«
»Bitte sofort benachrichtigen, wenn etwas geschieht, ja?«
»Selbstverständlich«, versprach Hasso.
Als die LANCET fünfundsiebzig Meter von der felsigen Oberfläche entfernt war, schlug der dünne Zeiger eines Instruments stark aus und fiel eine Zehntelsekunde später wieder in seine Ausgangsstellung zurück. Hasso bemerkte es und wollte eine Meldung durchgeben. Aber da verschwand die Kugel mit den hellen Lichtbuckeln darauf bereits in der Dunkelheit eines dreißig Meter tiefen Landeschachtes.
Die Stimmen klangen auf seltsame Weise unpersönlich. Sie wurden von den winzigen Mikrophonen aufgefangen, die in den Halsblenden der Helme untergebracht waren. Antennen auf den Schultern strahlten sie ab, Lautsprecher in Ohrhöhe gaben die Worte wieder. Hasso und Atan schalteten die Mikrogeräte ihrer Armbänder ein und verließen die LAN-CET.
Schritte ... Sie klangen dunkel verschwommen, waren fast unhörbar. Die hochempfindlichen Mikrophone in den Raumanzügen nahmen die Schwingungen auf und gaben sie wieder.
»Zur Schleuse, Atan«, sagte Hasso leise.
Schweigend legten sie die zwanzig Meter zurück und standen vor der Schleuse. Atan Shubashi hielt seine Hand vor die Photozelle und wartete, bis sich die Schleuse öffnete. Die Männer betraten Sekunden später das Korridorsystem der Relaisstation. Sigbjörnson blickte auf sein Armbandfunkgerät. Das leuchtende Dreieck einer gleitenden Skala deutete auf einen seltsamen Wert.
»Halt, Atan!« sagte Sigbjörnson scharf. Sein Blick drückte Verwunderung aus.
»Was ist los?« fragte die Stimme neben seinen Ohren.
»Sieh einmal auf deinen Druckanzeiger. Hier in diesem Abschnitt der Gänge ist etwa soviel Sauerstoff wie in einem Aquarium.«
Die beiden Männer standen vor einem dunklen Gang. Nicht einmal die Notbeleuchtung brannte.
»Die hydroponische Anlage oder die Umwälzer müssen ausgefallen sein«, sagte Shubashi.
»Und die Generatoren sind ebenfalls stillgelegt«, stellte sein Partner fest.
»Hier ist etwas geschehen ...« sagte Hasso und ließ den Satz unbeendet. Die Männer blickten noch einmal auf ihre Anzeigen: Keinerlei Sauerstoffdruck in dem Korridor. Dann schalteten sie die Lampen ein. Zwei starke Lichtstrahlen wanderten vor den Raumfahrern her, als diese langsam in das Gangsystem eindrangen. Die Stille und die Dunkelheit waren gespenstisch.
»Hörst du?« flüsterte Hasso plötzlich.
Beide Männer blieben stehen, als seien sie gegen eine unsichtbare Mauer geprallt. Die Sendeenergie des MZ 4-Gerätes schien derart stark zu sein, daß die Zeichen sogar durch den Helmfunk zu hören waren. Die Dreiergruppen des geheimnisvollen Kodes waren genau und scharf.
»Ja, ich höre«, erwiderte Atan ebenso leise.
Die Männer sahen sich durch das Quarzglas der Helme an. Atans Hand tastete sich hinunter zu der Waffe am Gürtel. Langsam setzten Atan und Hasso einen Fuß vor den anderen. Sie durchquerten den langen Korridor mit seinen wabenartigen Wänden und kamen bis auf einen Kreuzungspunkt. Drei weitere Stollen mündeten in den zylindrischen Raum. Auch hier sahen die Männer nur, was die Kegel ihrer Lampen aus dem Dunkel rissen.
»Hasso - links!« flüsterte Atan Shubashi. In die schwarzen Augen des Mannes kam ein gefährliches Glitzern.
Wie auf Kommando zogen die Männer die Strahlwaffen. Der spitze Dorn des Projektors wies auf die stählerne Tür. Langsam schwang die sechseckige Tür zum Mittellager auf und drehte sich um neunzig Grad. Atan und Hasso gingen zu beiden Seiten der Platte langsam und wachsam in den Raum hinein. Es war die halbautomatische Funkzentrale von MZ 4.
Schlagartig hörten die schwachen Funkzeichen auf.
Zwei Lichtkreise huschten über Schalter, über die komplizierten Anordnungen von Röhren und Twistoren, über vielfarbige Kabel und massive Bausteine von Abdeckungselementen. Sie blieben in der Form einer Acht auf den schwach leuchtenden Skalen der Sendeanlage liegen.
Sigbjörnson kam näher heran. Der Lichtkreis wurde kleiner und intensiver. Eine Sekunde später stand Shubashi neben ihm.
»Sieh dir das an!« sagte er leise.
Der Raum war leer, die Sessel und die Tische waren verwaist. Herumliegende Gegenstände zeigten an, daß die Möbelstücke vor kurzer Zeit noch benutzt worden waren. Es schien, als sei die Besatzung in wilder Flucht davongestoben. Das harte Klicken, mit denen die Männer die Außenmikrophone einschalteten, war in den Lautsprechern. Es war sicherer so, obwohl die fehlende Luft außerhalb der Anzüge keine Schallwellen leitete.
»Die Impulsscheibe steht auf einer Frequenz, die nur selten Geräte empfangen können«, stellte Shubashi fest. »Gut, daß unsere ORION eines der modernsten Schiffe ist. Sonst hätten wir die Dreierkombinationen nicht hören können.«
Hasso drehte sich um einhundertachtzig Grad. Nichts war zu sehen. Kein Laut war zu hören.
»Irgendwo müssen Clarences Männer doch stek-ken!« sagte er halblaut.
»Ich habe das Gefühl, daß sie geflohen sind«, erwiderte Atan.
»Weiter!«
Sie verließen den Funkraum und öffneten eine weitere Tür. Die Leichtigkeit der Bewegung bewies, daß auch jenseits der Tür kein Luftdruck herrschte. Der Nebenraum schien ebenfalls leer zu sein. Sigbjörnson ging voran. Es war ein Raum, der für den Bereitschaftsdienst des Funkpersonals eingerichtet zu sein schien.
»Leer?« flüsterte Hasso mit unterdrückter Erregung.
Nur die Lampen verstreuten ihr Licht durch den Raum. Die Kegel wischten über Regale mit Lesespulen, mit selbstgefertigten Zeichnungen an den Wänden und mit den ausgeschalteten Skalen einer mächtigen Stereoanlage. Plötzlich stieß Hasso einen unterdrückten Schrei aus.
»Hier!«
Der Lichtstrahl aus der Höhe seines Anzugsgürtels beleuchtete ein gespenstisches Bild. Zwei Männer saßen vor ihnen. Sie waren mitten in der Bewegung erstarrt. Vor ihnen standen Teller mit Essensresten. Neben einem der Teller lag aufgeschlagen eines jener kleinen Bücher in Dünndruckausgabe, ein typisches Erzeugnis für Raumfahrer.
»Jim und Francois?« wisperte Shubashi entsetzt.
»Tot. Erstarrt. Mitten in der Bewegung ...«
Die zwei Männer blieben neben der Eßnische stehen und betrachteten erschrocken die Szene. Die Gesichtshaut und die Haut der Hände der unglücklichen Opfer begann sich bereits zu verfärben; die zahllosen geplatzten Äderchen boten ein Bild des Grauens.
»Das ist eine neue Art des Sterbens«, flüsterte Atan Shubashi. »Wer stirbt mitten in der Bewegung, die Gabel in der Hand und die Augen auf die Seiten eines Buches gerichtet?«
Atan wirbelte herum und hastete zur nächsten Tür.
Hasso Sigbjörnson folgte ihm mit gezogener Waffe. Die Männer wußten jetzt, daß in der Station ein unheimlicher Feind auf sie lauerte. Die Tür rollte ohne ein Geräusch zurück in die Wand. Neben der Tür zeigte ein Schild in Augenhöhe an, daß die Männer vor der Zentrale standen.
»Vorsicht, Hasso!« mahnte Atan.
Nebeneinander kamen die Männer näher.
Vor ihnen: Eine riesige Sternenkarte des betreffenden und der nebenliegenden Kuben. Erloschen ... Die Projektion war zweidimensional. Die riesige runde Karte war an Decke und Boden befestigt, und auf einem Kreis von acht Metern Durchmesser waren unzählige Sternpositionen vermerkt.
»Da!«
Wie Wasser breiteten sich die beiden Lichtkegel aus. Sie glitten über den Boden, erreichten die Füße eines Mannes und kletterten am Körper hoch. Es war Clarence. Er stand hochaufgereckt da, und seine Hand wies fast senkrecht nach oben und deutete auf eine Konstellation dreier Sonnen, die von den dünnen Ringen der Planetenbahnen umgeben waren. Neben Clarence saß ein zweiter Mann an der Eingabetastatur eines Computers. Beide waren tot. Mitten in der Bewegung hatte sie jener unsichtbare Feind getroffen.
»Ich kenne viele Möglichkeiten, jemanden umzubringen«, flüsterte Atan, als fürchte er, seine Stimme könnte den Gegner zueinem weiteren Angriff herausfordern, »aber das ist eine besonders teuflische Art.«
»Mit der Sauerstoffanlage kann es nichts zu tun haben«, sagte Hasso und sah sich um. »So sieht jemand, der erstickt ist, nicht aus.«
Atan berührte mit seinem dünnen Handschuh die Wand.
Ein plötzliches Summen übertrug sich durch den metallvergüteten Anzug. Es ging von den Wänden aus.
»Die Luftumwälzanlage läuft«, sagte der Astroga-tor. »Aber sie transportiert kein Gas mehr.«
Die Männer gingen auf die Tür zu. Als sie vor der Metallplatte standen und ihre Hände an den Rahmen legten, vernahmen sie weitere Vibrationen. Es war, als gehe im anschließenden Raum eine schwere Gestalt vorbei. Die schrittartigen Rhythmen näherten sich, hielten inne und entfernten sich wieder. Die Männer sahen sich an. Dann nickte Atan unmerklich.
Langsam öffnete sich die Tür - Zentimeter um Zentimeter. Die Handschuhe der Männer bremsten die Bewegung ab. Überall war Dunkelheit. Aber in dem Maschinenraum, der vor ihnen lag, bewegte sich eine helle Erscheinung von rechts nach links. Innerhalb einer Sekunde begriffen die Männer, daß sie einen der unheimlichen lautlosen Feinde vor sich hatten. Die Gestalt war unzweifelhaft humanoid. Sie sah aus wie der abgerundete Umriß eines Menschen aus Glas. Das milchigweiße Material des Körpers leuchtete von innen heraus, und Atan erkannte ein Nervensystem, das aus schwarzen Fäden verschiedener Dicke zu bestehen schien. Er stieß mit dem Ellenbogen seinen Freund an. Im gleichen Moment blieb das Wesen stehen.
Es stand vor einem Schrank mit zusammengesetzten Schaltelementen. Durch den Körper leuchteten die Griffe von Schaltern und Kipptasten. Dann hob das Wesen - noch immer lautlos - einen Arm und deutete auf die beiden Männer.
»Feuer!« stieß Hasso atemlos hervor.
Aus den Zungen der Projektoren brachen zwei dünne Strahlen und tauchten den Raum in blauweiße Helligkeit. Sie vereinigten sich in Brusthöhe im Körper des Fremden. Dann sahen die Männer der ORION, daß die Strahlen aus den mörderischen Waffen den Körper glatt durchschlugen und auf den Schalterschrank auftrafen. Das Metall der Front schmolz und sprang in einem Funkenregen weg. Atan zielte auf den Kopf des fremden Wesens. Wieder spannte sich ein fadendünner vernichtender Strahl von der Projektorspitze bis zu dem Wesen.
Das Wesen blieb zwei, drei Sekunden stehen. Dann wandte es sich ab und ging weiter nach links. Ein wuchtiger Maschinenblock entzog den Fremden den Blicken der beiden Männer.
Shubashi und Sigbjörnson blickten sich voller Entsetzen an und zogen sich zurück. Vor ihren Gesichtern schloß sich die stählerne Tür wieder. Der Astro-gator sagte atemlos: »Hasso - was war das?«
Verwirrt schüttelte der Ingenieur den Kopf.
»Auf keinen Fall ein menschliches Wesen.«
»Die Strahlen gingen einfach durch diesen Körper hindurch ...« flüsterte Atan. »Und unsere Waffen sind imstande, Stahl zu schmelzen. Was hat dieses Wesen aushalten können?«
»Extraterrestrier«, stellte Hasso fest. »Sie sind an der Grenze eingedrungen, und niemand weiß, woher sie kommen. Wir müssen sofort die ORION benachrichtigen!«
Augenblicklich schaltete Hasso erhöhte Sendeenergie ein.
»Sigbjörnson auf MZ 4 ruft ORION VII!« rief er.
De Monti meldete sich sofort. Seine Stimme klang besorgt.
»Was gibt es, Hasso?«
Mit gehetzter Stimme antwortete Sigbjörnson: »Clarence und seine Leute leben nicht mehr. Sie sind auf eine merkwürdige Weise umgekommen. Verstehst du?«
McLanes Stimme überlagerte das erschreckte Ausatmen des Ersten Offiziers.
»Wir verstehen, Hasso. Weiter!«
»Wir haben einen Extraterrestrier gesehen und auf ihn geschossen, Cliff. Er kümmerte sich nicht darum. Die Strahlen gingen einfach durch ihn hindurch!«
»Wie?« schrie McLane, »hier, in diesem Raumkubus? Das kann doch nicht möglich sein!«
Beschwörend rief Hasso: »So ist es, Cliff. Wir haben es genau gesehen! Der Fremde war immun gegen unsere Strahlwaffen.«
»Wo seid ihr?« fragte McLane knapp.
»Im Kontrollraum.«
»Haben die Fremden euch bemerkt, Hasso?«
»Höchstwahrscheinlich, wenn sie nicht gerade blind waren. Es besteht eine geringe Chance, daß sie uns für Robots hielten. Immerhin leben wir noch.«
»Sofort zurück in die LANCET, Jungens!« schrie McLane. »Und Schnellstart! Ihr müßt sofort den Asteroiden räumen!«
6.
Cliff Allistair McLane drehte seinen Kopf von dem Mikrophon weg. Neben McLane starrten de Monti, Helga Legrelle und Tamara Jagellovsk auf die runde Scheibe des Schirms. McLane sagte halblaut zu Helga: »Dauerbeobachtung des umliegenden Raums!«
»Jawohl, Chef!« sagte Helga. Sie war mit zwei langen Schritten an ihrem Funktisch.
»Kampfstand besetzen, Mario! Alarmstart vorbereiten!«
De Monti verschwand aus der Steuerkanzel. Ein halbes Deck höher, weiter dem Rand des Diskus zu, befanden sich die beiden Kampfstände. Fassungslos sagte der GSD-Leutnant: »Außerirdische Lebewesen
- hier? In unserem Herrschaftsgebiet?«
McLane saß bereits in seinem Sessel und bereitete den Schnellstart der ORION vor. Er hob nicht einmal das Gesicht von seinen Schaltern und Hebeln, als er erwiderte: »Dieser Asteroid ist einer der äußersten Stützpunkte Terras. Wir stehen nur einige Lichtjahre vor der letzten Grenze unserer Raumkugel. Ein größeres Gebiet kann im Augenblick nicht wirksam genug kontrolliert werden.«
»Gab es jemals Anzeichen dafür, daß außer uns Terranern auch noch andere Wesen in dieser Galaxis leben?« fragte Tamara schnell.
Gereizt antwortete McLane: »Für Ihre Ausbildung haben Sie reichlich anthropozentrisches Weltbild! Allein in unserer Galaxis gibt es rund sieben Milliarden Planeten, die intelligentes Leben hervorgebracht haben können. Woher nehmen Sie eigentlich die Arroganz anzunehmen, wir wären die einzigen Zweibeiner, die addieren und multiplizieren können?«
»So dumm bin ich auch nicht. Theoretisch aber ...«
McLane schnitt ihr das Wort ab.
»Was Hasso eben durchgesagt hat, klang nicht im entferntesten theoretisch!« Er rief: »ORION VII ruft Sigbjörnson auf MZ 4! Hasso - wo seid ihr? Könnt ihr starten?«
Die Stimme des Ingenieurs kam sofort über die Bordlautsprecher zurück.
»Hier Hasso. Wir sind auf dem Weg zum Landeschacht.«
»Gut. Haltet ihr noch einen Kontakt mit den Fremden?«
»Nein. Sie lassen uns in Ruhe. Ich weiß nicht, aus welchem Grund. Wir rennen weiter auf den Landeschacht zu.«
»Wenn die Fremden ohne jeden ersichtlichen Grund Clarence und seine Mannschaft umgebracht haben, warum greifen sie dann Hasso und Atan nicht an?« fragte Tamara. Sie spielte in höchster Nervosität mit ihrer schmalen Identifikationsplakette.
Hintereinander fuhr McLane sämtliche Maschinen der ORION hoch.
»Ich kann keine Gedanken lesen, Gnädigste«, sagte er sarkastisch. »Die von Nonhumanoiden auf gar keinen Fall!«
Ein Schrei zerfetzte die angespannte Atmosphäre der Kommandokanzel. Er kam vom Funktisch.
»Cliff! Unbekannte Objekte!«
McLane wirbelte mit dem Sessel zum Schirm herum.
»Was? Wo?«
Helga Legrelle legte die Impulse, die ihre Geräte empfingen, auf den Schirm des Commanders um.
»Radar zeichnet, Cliff. Wir haben Kontakt mit vier
- fünf, mit sieben fremden Schiffen.«
Die klirrenden Geräusche des Astrosonar zirpten aus den Lautsprechern. Auf McLanes Schirm wurden Punkte sichtbar. Sie vergrößerten sich schnell, mußten also in einer unfaßbaren Geschwindigkeit näher kommen. McLane konzentrierte seinen Blick auf das erste der sieben Objekte: Es war eine Kugel mit zwei schlanken, flügelartigen Ausläufern.
»Entfernung?«
Es war nahezu unmöglich, ohne technische Hilfsmittel die Entfernung eines Objekts im Raum abzuschätzen, wenn man nicht genau wußte, wie groß es war. Der Raum verzerrte zudem die Schätzungen durch das Fehlen von Merkmalen, die man zu Vergleichszwecken heranziehen konnte.
»Vierzig Lichtsekunden, neununddreißig - siebenunddreißig ... Cliff! Sie haben eine irrsinnige Geschwindigkeit!«
Die Gefahr war jetzt wesentlich. Sie ging von den sieben Schiffen aus, die sich rasend schnell dem Asteroiden näherten, auf dem noch zwei Besatzungsmitglieder waren.
»Wir müssen hier sofort weg«, sagte McLane laut. »Wir schweben unbeweglich wie eine Zielscheibe. Wir müssen augenblicklich Geschwindigkeit gewinnen, um manövrierfähig zu werden. Fertig zum Alarmstart!«
»Und Hasso und Atan?« schrie de Monti.
Cliff riß das Mikrophon der Funkanlage zu sich heran.
»Wo bleibt ihr denn? Hasso! Atan! Was ist los? Seid ihr im Startschacht? Warum startet ihr nicht?«
Hasso bemühte sich, seine Panik zu unterdrücken.
»Wir sind in der LANCET, Cliff. Wir kommen nicht weg. Sie haben unsere Elektronik zerstört!«
McLane überlegte nicht länger als eine Sekunde. Dann sagte er drängend: »Wir werden vermutlich angegriffen, Hasso. Sieben fremde Schiffe nähern sich uns. Ich kann keine Sekunde länger auf euch warten.«
»Bringst du ohne mich einen Schnellstart fertig, Cliff?« fragte Hasso, immer noch ruhig. »Ich muß es versuchen. Ich werde starten und abwarten, was die Fremden tun. Greifen sie an, schlagen wir zurück. Versteckt euch im Asteroiden, so gut es geht - wir holen euch nachher ab. Ende.«
McLane legte sämtliche Leitungen aus dem Schaltpult Hassos auf seinen Tisch um und drehte den Hebel der Startschaltung bis an den Anschlag durch. Das Schiff löste die Verankerung aus der Masse des Asteroiden und raste hinaus in die Schwärze des Alls.
Die Formation der fremden Flugkörper war die eines stumpfwinkligen Dreiecks. Jetzt zog sie sich auseinander. Die seitlich fliegenden Schiffe holten auf.
»Zwölf Lichtsekunden!« meldete Helga.
Neben McLane saß Tamara am Commanderpult. Die Insassen hörten die hämmernden Arbeitsgeräusche des Digitalrechners. Aus dem Ausgabeschlitz schob sich langsam ein breiter Lochstreifen. Helga drehte ihren Sessel herum, stand auf und blieb neben dem Streifen stehen. Sie las halblaut mit.
»Kurs ist programmiert. Die Korrektur wird an die Maschinen durchgegeben.«
McLane nickte. Er blickte zuerst auf den Sichtschirm, dann auf den Monitor über seinem Kopf. Mario de Montis Gesicht blickte auf McLane herunter.
»Wir müssen in wenigen Sekunden auf Fluchtdistanz sein, Mario!« Mario nickte. »Und für Sie habe ich auch eine Arbeit, Leutnant!« sagte McLane. »Gehen Sie hinüber zu Helga und setzen Sie einen Lichtspruch ab, der über den nächstgelegenen Verstärker geht und dort in einen Hyperimpuls verwandelt wird. Helga kennt die Schaltzeichen. Text: An Oberste Raumbehörde und an die Raumaufklärungsverbände. Extraterrestrier auf MZ 4 im Kubus Zehn/Nord 219. Die Besatzung wurde getötet. Sieben fremde Schiffe im Anflug. Kampfhandlungen stehen bevor.«
Tamara stand auf und fragte erstaunt: »Aber ...«
McLane brüllte sie an: »Worauf warten Sie noch, Leutnant?«
»Ich denke, der gesamte Funkverkehr in diesem Kubus ist gestört?«
»Wie kommen Sie auf diese Idee?« fragte McLane aufgebracht.
»Dieser Funksatellit!«
»Es gibt noch mehr Relaisstationen, junge Frau«, sagte McLane. »Tun Sie bitte, was ich Ihnen sage. Für Erklärungen haben wir später Zeit, falls wir überleben!«
Tamara zuckte die Schultern und setzte sich neben Helga, die eine Leitung frei machte und das Mikrophon einschaltete.
Mario de Monti saß angeschnallt vor dem Zielgerät im Kampfstand. Er konzentrierte sich auf die Zieleinrichtung.
Die drei fluoreszierenden Kreise näherten sich einander.
Ein zweiter Schirm hatte die fremden Schiffe in einer einzigen Linie. Die Ortung lief bereits. Mario sagte ruhig: »Die Ortung läuft. Die Objekte zeichnen klar. Abstand: Fünfzehn Lichtsekunden.«
»Wir haben Geschwindigkeit aufgenommen und einen Abstand herbeigeführt, der uns einige Handlungsfreiheit läßt. Würdest du treffen können?«
Mario blickte in die Linse des Videophons und sagte: »Das ist sinnlos, Cliff. Sie sind noch zu weit entfernt!«
Ein schrilles Heulen überlagerte sämtliche andere Laute.
Die Lichtzeilen, die den Arbeitsgang des Digitalrechners kennzeichneten, erloschen hintereinander, von oben nach unten. Das Rattern des Schreibgeräts, angeschlossen an den Computer, wurde langsamer. Durch den Lärm hörte Mario den grellen Schrei Helga Legrelles.
»McLane - der Computer fällt aus!«
Helga wollte aufspringen, aber eine ungeheure Kraft drückte sie vornüber auf das Schaltbrett. Die ORION wurde von einem Strahl gepackt und beschleunigt. Die Werte mußten derart ungeheuerlich sein, daß die Retarder nicht mehr ausreichten: Ein Schwerefeld baute sich in der Schiffshülle auf. McLane brach über dem großen Schirm zusammen.
Es gelang ihm, bevor er mit Kinn und Brust aufprallte, die Arme auszubreiten und den Andruck abzufangen - teilweise. Krampfhaft versuchte der Commander, sich hochzustemmen. Es gelang nicht. McLane drehte langsam, wie in Zeitlupe, den Kopf herum und sah mit tränenden Augen, daß auch Tamara in ihrem Sitz zusammengepreßt wurde.
»Was - ist - mit - der ORION - los, Major?« stammelte sie mühsam.
»Wir werden entweder beschleunigt«, keuchte McLane, »oder die fremden Schiffe bauen ein Feld erhöhter Massenanziehung auf. Ich weiß es nicht.«
Helgas Augen waren dicht vor einigen Instrumenten. Sie sah undeutlich, daß sich Zeiger bewegten.
»Cliff!« ächzte sie. »Die Fremden haben unsere Stromkreise kurzgeschlossen. Sämtliche Geräte sind ausgefallen!«
McLane bemühte sich erneut hochzukommen. Die Kraft preßte ihn zurück auf die Sichtscheibe. Er hoffte, daß das mißhandelte Material sein Gewicht aushielt, auch wenn die Beschleunigung es heraufsetzen würde.
»Umschalten auf Elektronik ... Versuche ...« keuchte er qualvoll.
Der Antrieb, dessen Heulen an den Nerven gezerrt hatte, setzte einen Herzschlag lang aus. Die Geräusche kehrten mit voller Lautstärke wieder und verstummten erneut. Die Maschinen arbeiteten unregelmäßig, und es war fraglich, wie lange die überbeanspruchten Leitungen die Lasten aushalten konnten.
»Mario - die Geschütze!« schrie McLane.
Einhundert Lichtsekunden betrug jetzt der Abstand. Das bedeutete, daß die ORION mehr als eineinhalb Minuten mit annähernd Lichtgeschwindigkeit beschleunigt hatte. Dennoch bewegten sich die Schiffe im Normalraum. Die fremde Kraft hatte den Kreuzer ergriffen und weggewirbelt. Der Erste Offizier schrie aus dem Lautsprecher des Videophons: »Weg von hier, Cliff! Sie setzen Kräfte ein, denen wir nichts entgegenhalten können. Wir sind wehrlos!«
Weitere Sekunden vergingen unerträglich langsam.
»Sie schaffen es nicht, Major!« schluchzte Tamara wütend. »Versuchen Sie einen Hyperraumsprung zurück.«
»Zwecklos!« schrie McLane in das Inferno aus Schall und Bewegung. »Helga, kannst du auf unser zweites System umschalten?«
»Ich versuche es, Cliff!« stöhnte der Funkoffizier.
Ihre Hand tastete sich millimeterweise über das Armaturenbrett, legte sich nach einer ungeheuren Anstrengung auf einen Schalter und preßte ihn hinein.
»Gut!« keuchte McLane. »Hyperraumflug. Koordinaten von MZ 4. Ich versuche, Hasso und Atan herauszuholen.«
»Das ist doch aussichtslos, Major. Die Fremden holen uns unweigerlich ein, und dann zerstören sie das Schiff restlos!« rief Tamara resignierend.
McLanes Hand hatte einen Schalter erreicht, der auf der anderen Seite des Pultes lag, eingebettet in einen durchsichtigen Schutz aus Kunststoff. Das Metall des Pultes leitete das harte Geräusch, mit dem er einrastete, in McLanes Ohr, das auf der Sichtscheibe lag. Fast augenblicklich ließen die Gravitationsstörungen nach. Die Geräusche des Antriebs wurden lauter. Dann sprang das Schiff in den Hyperraum. McLane stand auf.
»Die Fremden«, stellte Helga Legrelle sachlich fest und justierte die wichtigsten Geräte neu ein, »haben eine Reichweite, von der unsere Techniker nicht einmal träumen.«
»Ich kann doch Hasso und Atan nicht einfach dort ausgesetzt lassen«, murmelte der Commander, als habe er nichts gehört.
Beschwörend sagte Tamara, die sich in ihrem Sessel aufrichtete und über die Stirn strich: »Es geht um mehr, Major! Die ORION ist durch die fremden Schiffe auf unerklärliche Weise außer Gefecht gesetzt worden. In der Elektronik sind sämtliche Daten über diese Vorkommnisse gespeichert. Und dieses Material muß zur Erde. Es kann der Anfang einer Invasion sein, McLane!«
»Abstand, Helga?« fragte McLane ungerührt. Er fühlte, daß seine geschundenen Muskeln zu zittern begannen.
»Zweihundertvierzig Lichtsekunden, Cliff.«
»Wenn die Fremden uns verfolgen wollen, holen sie uns leicht ein.«
De Monti kam schweißüberströmt aus dem Kampfstand zurück und steckte sein Taschentuch wieder ein.
»Cliff - wer immer sie sind, sie sind uns um Jahrzehnte voraus. Wenn sie näher herankommen, knak-ken sie uns wie eine Auster.«
Helga deutete auf ein Kursdiagramm, das auf der schwarzen Scheibe des Analogrechners abgebildet war. Zwei Kurven verliefen dort in der Relation zu einem Punkt.
»Ich glaube«, sagte Helga, »daß sie gar nichts von uns wollen. Ich habe die Anfluglinien berechnet: Die Fremden wollen nach MZ 4.«
Langsam und resigniert erwiderte de Monti: »Und wir können überhaupt nichts mehr tun!«
»Wir müssen etwas tun!« sagte Tamara bestimmt.
»Ach - ja?« grollte McLane und drehte sich zu ihr herum. »Und was schlagen Sie vor?«
Ohne jede Ironie erklärte der GSD-Offizier: »Sie kennen die Alpha-Order der III b für sämtliche Kreuzerkommandanten so gut wie ich, Cliff.«
McLane nickte betroffen. Der Funkoffizier und de Monti sahen sich erstaunt an. Dann begriffen sie, was Tamara gemeint hatte.
Tamara fragte weiter: »Commander, bitte sagen Sie jetzt die Wahrheit: Haben Sie die technischen Möglichkeiten, die Station MZ 4 zu zerstören, bevor uns die Fremden eingeholt haben?«
»Technisch - ja. Durch Energiebrand. Solange aber die geringste Möglichkeit besteht, daß Sigbjörnson und Shubashi noch leben, kann kein Mensch von mir verlangen, daß ich die Basis zerstöre«, erwiderte Cliff.
Langsam begann Tamara zu zitieren. Es war der betreffende Artikel des Diensteides der Raumleute.
»Sie sind wahnsinnig, Leutnant!« schrie de Monti.
Tonlos sagte Cliff: »Sie hat recht, Mario. Sie hat vollkommen recht.« Dann wandte er sich an Helga.
»Hyperraumspruch an Raumaufklärungsverbände Terra. Major McLane vom Schnellen Raumkreuzer ORION VII. Ich versuche, auf Weisung des Sicherheitsoffiziers die Relaisstation MZ 4 zu vernichten. Die Basis ist mit Sicherheit in der Hand von Extrater-restriern. Die Feindschiffe sind uns an Reichweite und Geschwindigkeit hoch überlegen. Daher Rückflug zur Erde. Verlustmeldung Hasso Sigbjörnson, Ingenieur und Astrogator Atan Shubashi. Ende.«
Zu Mario gewandt, sagte er: »Energiewerfer fertigmachen!«
»Das hätte ich dir nicht zugetraut, Cliff!« sagte de Monti und verließ die Kommandokanzel.
McLane verlor die Beherrschung.
»Soll ich die beiden noch anrufen«, schrie er und schlug mit beiden Fäusten auf die Platte seines Pultes, »und ihnen sagen: >Liebe Freunde, es tut mir sehr leid, aber ich bringe euch jetzt um<?«
Er beherrschte sich wieder und ging zum Lift.
»Wo wollen Sie hin?« fragte Tamara ruhig.
»Wollen Sie es etwa tun?« fragte er aggressiv zurück.
»Commander McLane ...« begann Tamara.
»Commander?« fragte McLane und hob die Brauen. »Hiermit quittiere ich meinen Dienst in der Flotte.«
Hinter ihm schloß sich die halbrunde Tür des Lifts.
Im Hyperraum raste die ORION zurück zum Asteroiden. Wenige Sekunden später rematerialisierte der Diskus in der Nähe der Felsenkugel. Der winzige Mond zeichnete sich auf dem Schirm ab. Nichts wies darauf hin, daß er von Fremden übernommen worden war. Die ORION bremste mit laufenden Maschinen ab.
7.
»Gib's auf, Atan!« sagte Sigbjörnson und lehnte sich müde gegen die Wand der LANCET. »Unsere Freunde haben mehr als gründliche Arbeit geleistet.«
Shubashi arbeitete verzweifelt an der Elektronik. Er hatte den Kasten mit dem Bordwerkzeug neben sich und prüfte die Transistoren und die Leitungen. Die Zellen der Energiesteuerung waren funktionsunfähig und konnten mit Bordmitteln nicht ersetzt werden.
»Das kann man wohl sagen«, murmelte Atan und warf einen Schraubenzieher zurück zum anderen Werkzeug. »Und wir sitzen in der Falle!«
Hasso versuchte zu lächeln, und wider sein besseres Wissen sagte er: »McLane wird uns hier herausholen!«
»Wenn er kann«, wandte Atan resigniert ein. »Wenn du mich fragst, Hasso - es ist aus mit uns!«
Hasso warf ihm einen düsteren Blick zu. »Ich frage dich aber nicht«, sagte er.
»Wenn er sich in einen Kampf mit den Fremden eingelassen hat, kann er längst tot sein. Sie sind immun gegen unsere Waffen. Wieviel besser werden dann erst ihre Schiffe sein! McLane hatte nicht die kleinste Chance!«
»Das«, sagte Sigbjörnson, »dachten wir schon oft.«
Keiner der beiden Männer ahnte, daß sein Leben jetzt an einem mikroskopisch dünnen Faden hing. Während die beiden Männer aufstanden und den unteren Teil der LANCET verließen, stand die ORION nahezu unbeweglich über dem Asteroiden.
Die leuchtenden Ringe des Zielgerätes schoben sich ineinander. Als sich die drei Linien deckten, befand sich genau in ihrem Mittelpunkt die Kuppel, unter der die Massen der Maschinen und Räume lagen. De Monti ließ die Griffe der Justieranlage los, als seien sie glühend. Er sprang aus dem Sessel.
»Mache das selbst!« sagte er zwischen den Zähnen.
McLane blieb zwischen der Vorderkante des Sessels und der Sichtscheibe der Zieleinrichtung stehen. Er blickte von der Seite in das Gesicht de Montis. Voller Verachtung drehte der Erste Offizier den Kopf weg. McLane holte Atem und drückte den Auslöser. Hinter einer massiven Röhre aus Quarzglas näherten sich zwei Elektroden einander. Berührten sie sich, schlossen sie die Leitung kurz, und die Energieflut wurde durch die Projektoren geleitet.
Wimmernd arbeitete die Automatik.
Der Abstand zwischen den gezahnten Metalladern verkürzte sich immer mehr. Er betrug nur noch wenige Zentimeter. De Montis Stirn war voller Schweiß, aber der Mann fror. McLane bewegte sich plötzlich und schlug mit der Hand auf den Auslöseschalter der Sicherung. Mit einem trockenen Geräusch blieben die beiden Elektroden stehen.
Über den Schirm des Videophons sagte Tamara hart: »Commander McLane! Sie müssen MZ 4 vernichten!«
Cliff hob den Kopf und starrte Tamara wild ins Gesicht. Er hatte seinen ganzen Mut gebraucht, um den Knopf zu drücken. Jetzt hatte ihn dieser Mut verlassen und er war unfähig, den Auslöser ein zweites Mal zu bestätigen.
»Ich muß!« brüllte er heiser. »Aber ich will nicht, verstehen Sie? Ich
Einige viereckige Anzeigen erloschen schnell hintereinander. Aufgeregt packte de Monti seinen Chef am Arm und deutete auf die blinden Glasvierecke.
»Cliff!« rief er. »Die Fremden ziehen unsere gesamte Betriebsenergie ab.«
»Was heißt das?« fragte der GSD-Offizier.
»Das heißt auf alle Fälle, daß wir MZ 4 nicht mehr vernichten können, auch wenn wir es wollten.«
Er drückte die Taste. Die Elektroden fuhren weiter aufeinander zu. Einen kurzen Moment wartete McLane auf das Überschlagen des Lichtbogens. Aber nichts geschah.
»Commander?« fragte Legrelle über die Bordsprechanlage. »Abstand zu den fremden Schiffen nur noch fünfzig Lichtsekunden. Sie kommen immer näher!«
»Cliff«, sagte de Monti beschwörend, »wir können im Moment nichts mehr tun. Wir müssen weg. Schnellstart!«
»Also gut. Schnellstart!«
McLane raste aus dem Kampfstand und warf sich vor seinem Pult in den Sessel. Die Elektronik hatte die Energie umgeleitet, so daß die Maschinen genügend Kraft entwickeln konnten. Die ORION nahm sofort Fahrt auf, kippte ab und raste davon. Hinter ihr stand ein Nebel aus Ionen im Raum. Die Fremden kamen unerbittlich näher.
Der Kommandant zermarterte seinen Kopf. Zunächst war es wichtig, das kostbare Schiff in Sicherheit zu bringen. Dreißig Lichtminuten später und weiter von dem steinigen Asteroiden entfernt, bezog die ORION VII eine Warteposition.
*
Die Halle war groß und dunkel. Neben zahlreichen Geräten und Anzeigen, hinter deren Skalen keine Lichter glühten, befand sich ein Radarschirm, der rätselhafterweise arbeitete. Shubashi und Sigbjörnson blieben davor stehen.
Die Männer hatten wieder die entsicherten Strahler in den Händen, und von Zeit zu Zeit sahen sie sich um. Bisher hatte sich keiner der Außerirdischen genähert. Hasso deutete auf die Mitte des Schirms, dessen Wischer sich wie rasend drehte. Sieben Lichtpunkte zeichneten sich ab.
»Sie kommen in voller Stärke«, sagte er. »Sollte tatsächlich ein Kampf stattgefunden haben, so hat Cliff nicht ein Schiff vernichten können. Ob die ORION noch existiert?«
»Vermutlich nicht. Ich habe eben versucht, sie zu erreichen. Nichts.«
»Das heißt: Die ORION ist vernichtet, und McLane ist tot.«
»Tot wie wir.«
Sigbjörnson überlegte. Es war in seinem langen Leben der erste Kontakt mit intelligenten Wesen, sah er von einigen Planeten mit Eingeborenen ab, die sich noch in der Dämmerung einer Frühkultur bewegten. Es gab immer einen Weg, dem Verhängnis zu entkommen. Und persönlich weigerte er sich, an den Tod McLanes zu glauben.
»Aber vorher versuchen wir noch einige Tricks. Wir kennen diese Station und die technische Einrichtung genau«, sagte er. »Einige dieser durchsichtigen Fremden nehmen wir mit, wenn wir sterben.«
Shubashi lachte kurz und gereizt auf.
»Wie stellst du dir das vor, Hasso? Gegen Strahl-waffen sind sie immun. Die Energie durchschlägt ihre Körper einfach, ohne sie zu beschädigen. Nicht einmal Sauerstoff oder ein anderes Gas brauchen sie zum Leben.«
Ein nachdenklicher Ausdruck kam in die Augen des Ingenieurs. Er murmelte: »Sauerstoff ...«
Atan riß seinen Kopf herum und starrte Hasso an.
»Wenn sie ...« begann er. Hasso nickte, und zum erstenmal lächelte er wieder.
»Wir sind Idioten«, sagte der Ingenieur. »Wenn sie keinen Sauerstoff benötigen und deswegen die gesamte Anlage hier abschalten oder zerstören, dann ist Sauerstoff Gift für sie. Sie vertragen keinen Sauerstoff. Vermutlich basiert ihr Metabolismus auf einer Katalyse.«
»Wenn du das gleiche denkst wie ich«, rief Atan, »dann müssen wir die Schaltung der Sauerstoffreserven finden.«
»Richtig! Die Umwälzanlage läuft noch immer.«
Sie wandten sich von dem Radarschirm ab, über dem jetzt einige Signale aufleuchteten. Es waren die Warnlichter, die eine schnelle Annäherung von Körpern anzeigten.
Binnen Sekunden fanden sie, was sie gesucht hatten.
Das Steuerpult mit dem dreifach angelegten In-strumentensatz für die Versorgung der Station. Luftdruck, Gaszusammenstellung, Schwerefeld, Generatoren und Heizung, Energiefluß ... all dies konnte von hier aus gesteuert werden. Hasso setzte sich in den Sessel und studierte die Aufschriften und die Pfeile, mit denen Schalter und Uhren verbunden waren.
»Das hier ist es«, sagte er und deutete auf einen Hebel. Das Licht lag voll auf dem Armaturenbrett.
»Los! Worauf wartest du noch?« sagte Atan.
Dann schwieg er bestürzt. Er hatte erkannt, worum es Hasso ging.
»Wenn wir jetzt die Tanks öffnen, fluten wir das Kavernensystem des Asteroiden«, stellte Sigbjörnson nüchtern fest. »Dann töten wir vielleicht die wenigen Fremden, die sich hier aufhalten. Vergiß nicht - es wollen sieben Schiffe landen. Was dann?«
»Die Landenden stellen fest, daß der Asteroid unter Sauerstoff steht und wissen Bescheid. Sie bringen uns um.«
»Außerdem kommen sie überhaupt nicht in die Gänge herein, wenn sie merken, daß jenseits der Schleuse Luft ist.«
»Sie haben vermutlich Raumanzüge«, sagte Hasso. »Aber ein Versuch könnte nicht schaden. Wenn wir allerdings sämtliche Fremden hier versammelt haben, dann könnte die Sache mit dem Sauerstoff funktionieren.«
Die Gefahr war groß. Noch immer lag die Hand des Ingenieurs auf dem runden Schalter mit dem Dorn, der auf
»Sie kommen hierher und bringen uns um wie Cla-rence und seine Leute, Hasso.«
Sigbjörnson überlegte weiter.
»Und warum haben uns die Fremden, die schon hier sind, noch immer am Leben gelassen?«
»Vielleicht wollen sie uns als Versuchsobjekte. Schließlich dürften sie einen Überfall auf die Erde und deren Herrschaftsgebiet planen. Sie brauchen uns lebend, um unsere Gewohnheiten studieren zu können und um uns auszufragen.«
»Sie haben uns in der Falle. Sie brauchen uns nur aufzuklauben und mitzunehmen«, sagte Shubashi.
Hasso nickte wieder. Noch immer überlegte er fieberhaft. Die Zeit eilte, denn das erste der Schiffe setzte bereits zur Landung an.
»Vermutlich«, sagte Sigbjörnson, »haben sie die Sauerstoffanlage irgendwie zerstört. Das werden wir gleich feststellen können. Ich versuche, diesen Raum zu fluten.«
Er schaltete nacheinander die einzelnen Räume ab, so daß die Versorgungsleitungen nur noch in den Kommandoraum führten. Alle anderen waren durch Magnetschieber abgesperrt. Dann drehte er den Knopf ruckartig herum. Vier Sekunden vergingen qualvoll langsam ...
Hasso und Atan regelten ihre Außenmikrophone ein; höchste Empfindlichkeit. Das Zischen der einströmenden Luft und das Summen der Ventilatorschächte hätte in den Lautsprechern klingen müssen wie ein Wasserfall. Nichts geschah. Nicht einmal eines der kleinen Lämpchen leuchtete auf.
»Nichts!« sagte Shubashi laut. »Außer Betrieb.«
»Ich sehe nach«, sagte Hasso.
Die Frontplatte des Schaltschrankes ließ sich lösen und schwang nach vorn. Die Drähte und Verbindungen waren, soweit er sehen konnte, intakt. Trotzdem funktionierte die Anlage nicht. Hasso schaltete den gesamten Satz auf das zweite Gerät um.
Jetzt würde sich zeigen, ob die Tanks geleert oder die Verbindungen durchtrennt waren. Die Kontrolllampe der zweiten Anlage leuchtete auf.
Hasso drehte auch hier den Schalter herum, nachdem er nur diesen einen Raum in den Kreislauf einbezogen hatte.
»Aussichtslos«, sagte Shubashi.
Jetzt waren nur noch fünf Objekte als helleuchtende Punkte auf dem runden Radarschirm zu sehen. Ein Schiff war, wie ein Signal zeigte, bereits in der Nähe der Kuppel gelandet. Ein zweites schwebte so nahe an dem Asteroiden, daß die Radarimpulse es nicht mehr entdeckten.
»Zu spät!« flüsterte Shubashi. »Sie landen!«
Zwischen den Zähnen murmelte Sigbjörnson: »Verdammt - woher bekommen wir Sauerstoff?«
»Unsere LANCET!« schrie Atan plötzlich und begann zu laufen. »Der Oxygentank.«
Sie rasten quer durch den Kontrollraum und trafen sich wieder an der nächsten Tür. Das Stahlschott glitt auf.
Hinter ihnen blieb der leere Gang zurück. Sie erreichten die Kreuzung, warfen sich herum und liefen in den wabenförmigen Stollen hinein. Hunderte Meter weiter vorn sahen sie verschwommen die Umrisse der Schleuse, die in den Landeschacht hineinführte. Dahinter stand die LANCET. Die Männer rannten weiter. Sie hatten die Strahler in den Händen. Ob sie etwas nützten, war unwesentlich. Allein das Gefühl, nicht wehrlos zu sein, war beruhigend. Plötzlich erstrahlten die Seitenwände.
Die Männer hielten an und schlitterten noch einige Meter auf dem glatten Belag. Sie drehten sich um -nichts geschah. Offensichtlich hatten die Fremden einen Schalter betätigt.
»Weiter!« sagte Atan leise.
Die Schleuse schloß und öffnete sich. Atan und Hasso hasteten in die LANCET hinein. In rasender Eile begann Hasso die Klemmschrauben zu lösen. Dahinter befanden sich die Versorgungsleitungen und die Sauerstoffbatterie. Die Handschuhe des Mannes holten den Kasten der Batterie hervor.
Der Sauerstoff, der unter hohem Druck stand, reichte normalerweise für eine Zeit von zwanzig Tagen und für zwei Menschen in der LANCET. Die Ladekontrolle am viereckigen Tank zeigte
»Sie dachten wirklich an alles!« sagte er mutlos.
Durch das Metall des Beibootes spürten die Männer eine Vibration, die von einer großen Maschine stammen mußte.
»Liftplattform!« sagte Hasso.
»Das bedeutet, daß die ersten Fremden gelandet sind und den Asteroiden betreten. Sie kommen herunter.«
»Sofort zurück!« sagte Shubashi plötzlich.
Shubashi klappte ein Fach seines breiten Gürtels auf. Hier war in einem dünnen Futteral ein kleiner, aus vergütetem Stahl hergestellter Kasten untergebracht. Er war etwa halb handgroß. An seiner schmalen Seite ragten zwei Ventile hervor, die mit winzigen elektronischen Verschlüssen ausgestattet waren. Atan hielt die Schachtel auf der Innenfläche der Hand Hasso vor Augen.
»Und das hier ... « sagte er triumphierend. »Ist das kein Sauerstoff?«
»Unsere Reservetanks!« meinte Hasso und löste seinen aus dem Gürtel. »Sie sind unsere Waffen.«
»Sie reichen aber keinesfalls für die gesamte Station.«
»Diese Sorge haben wir später. Los!«
Die Männer hasteten hinunter, warfen sich gegen die Schleusentür und betraten das Korridorsystem. In den Händen trugen sie Waffen und Zusatztanks, mit denen sie im Raumanzug bis zu hundertzwanzig Stunden Sauerstoff hatten.
Sie rannten durch den zweiten Korridor und blieben vor der ersten Tür stehen. Dann blickten sie sich an und schwiegen einige Sekunden.
»Wie gehen wir vor?« fragte Atan.
»Wir müssen die Tanks schlagartig öffnen.«
Hasso überlegte, wie sie es schaffen konnten.
»Außerdem müssen wir sicher sein, daß wir sämtliche Fremden in dem Raum versammelt haben, in dem wir die Tanks explodieren lassen wollen.«
»Der Kontrollraum?«
»Richtig!« sagte Hasso.
Schritte waren zu spüren. Hinter der Tür des Kon-trollraums schienen sich die fremden Wesen zu sammeln. Ihr Plan schien perfekt. Sie töteten die Besatzung des Asteroiden an der Grenze des terranischen Machtgebietes und übernahmen sämtliche Kenntnisse, deren sie hier auf MZ 4 habhaft werden konnten. Ihr Vorauskommando erwartete die Insassen der sieben Schiffe.
Die Männer hörten, daß der Aufzug ständig hinauf- und hinunterfuhr. Immer mehr Schritte.
Ein Summen lag in den Ohren. Es konnte nicht Schall sein, denn da die Luft fehlte, konnte er nicht geleitet werden. Es war ein Geräusch, das scheinbar in den Männern selbst entstand; es schien vom Zwerchfell auszugehen. Hasso öffnete die Tür einen winzigen Spalt.
»Wie weit sind sie?« flüsterte Atan und preßte sich neben Hasso an die Wand.
»Der Kontrollraum ist voll von ihnen.«
»Warte«, erwiderte Atan. »Es kommen noch mehr!«
Sie warteten dreißig Sekunden lang. Dann war der Lift zur Ruhe gekommen. Die Stärke der Vibrationen bewies, daß die Plattform auf dem Boden der Anlage ruhte. Also kamen keine Fremden mehr aus ihren Schiffen.
»Sie haben, soweit ich es erkennen kann, keine Helme auf«, meldete Atan.
Immer stärker wurde das Gefühl, das von den vibrierenden Zellen in den Körpern der beiden Terra-ner ausging. War dies die Form, in der sich die fremden Wesen miteinander verständigten? Die Vibrationen hörten auf.
»Sie sind vollzählig!« sagte Atan. »Los!«
Die Tür schob sich einige Zentimeter weiter auf. Die Männer sahen in einen Raum, der dicht vor dem Kontrollraum lag und durch eine breite Verbindungswand abgetrennt war. Dahinter, rings um die Maschinen und die Geräte des Kontrollraums und vor der Sternenkarte, sahen sie die Silhouetten der Fremden. Sie glichen gläsernen Menschen, menschlichen Formen aus milchigem Glas. Die Nervensysteme der Fremden waren schwarz. Es sah so aus, als pulsierten unzählige Strickleiternervensysteme in den schlanken Körpern. Die Extraterrestrier waren nicht viel kleiner als zwei Meter. Sie wandten den beiden Männern den Rücken zu - oder das, was bei Terra-nern der Rücken war. Hasso holte aus.
Die beiden kleinen Zusatztanks waren miteinander verbunden worden. Der Ingenieur hatte ein Stück des Abdichtbandes dazu verwendet. Die Männer konnten mit diesem selbstklebenden Band kleine Löcher in den Anzügen abdichten. Beide Tanks rutschten über den Boden bis an die Sternenkarte. Niemand hatte es gehört. Auch die Fremden schienen auf Gas als Schalleiter angewiesen zu sein.
»Genau zielen!« sagte Hasso und fühlte, daß ihm der kalte Schweiß ausbrach.
Atan Shubashi hob seine Waffe und visierte die beiden Tanks an. Plötzlich drehte sich einer der Fremden um.
8.
Die vier Männer sahen sich an. In dem Büro, in dem sie um den mächtigen Tisch saßen, war es totenstill.
»Wir stehen dem Phänomen gegenüber, daß eine außerirdische raumfahrende Rasse unser eigenes Hoheitsgebiet betritt. Es ist ungeheuerlich.«
Sir Arthur war der Chef des Führungsstabes. Ein Mann von fünfzig Jahren mit eisgrauem Haar, das in einer verwegen geschnittenen Bürstenfrisur den schmalen Schädel bedeckte. Die Augen waren ebenfalls grau. Sie betrachteten nachdenklich das Spiegelbild des kleinen Gegenübers von Sir Arthur.
»Früher oder später war damit zu rechnen«, erwiderte Oberst Villa kühl.
Sir Arthur schlug mit seiner Faust auf den Tisch.
»Ihre Gelassenheit, Oberst Villa, beruhigt mich ungemein!« sagte er und beugte sich vor. Er war kleiner und schmaler als der wuchtige Marschall an seiner Seite, aber man sah Sir Arthur an, daß er seinen Standpunkt starrköpfig bis zur Entscheidung durchfocht.
»Das war der Sinn der Antwort«, sagte Villa gelassen.
»Haben Sie vielleicht auch damit gerechnet, daß diese Fremden gegen unsere Strahlwaffen immun sind, daß sie Raumschiffe haben, die unseren in jeder Weise überlegen sind?«
Villa nickte ironisch. Er trug den weißen Kragen und die hellgraue Uniform des Sicherheitsdienstes. Unterhalb der rechten Schulter war das S im Kreis zu sehen. Ein kleiner zierlicher Mann mit schlanken, nervösen Händen.
»Wie hieß es in McLanes letzter Meldung, Marschall?«
Wamsler sah Sir Arthur verständnislos an. Er hatte über das Schicksal seines besten Mannes nachgedacht. Was war mit der ORION VII geschehen?
»Wenn McLane kein anderes Mittel als die Flucht kennt, bedeutet es, daß der Gegner tatsächlich überlegen ist.«
»Tatsächlich?« fragte Oberst Villa.
Die Stimmung wurde erregt. Auf der riesigen runden Raumkarte war an der Stelle, an der sich MZ 4 bewegte, ein winziger Lichtpunkt, der seine Farbe ständig veränderte. Daneben standen die Koordinaten des Asteroiden. Zehn/Nord 219 ...
Die vier Männer waren zusammengerufen worden, um die Lage zu beraten. Seit den ersten Vorstößen der Terraner in die Wildnis des Weltraums waren die Schiffe zum erstenmal auf Wesen gestoßen, die den Menschen ebenbürtig und vielleicht überlegen waren. Dies war ein absolutes Novum in der Geschichte der Raumfahrt. Man hatte davon abgesehen, die Öffentlichkeit zu informieren.
»Unser Hoheitsgebiet«, sagte Wamsler. Man sah, daß er unter der Ungewißheit litt. »Ist eine Kugel aus leerem Raum mit einem Durchmesser von neunhundert Parsek.«
Seine breite Hand wies auf das Schaubild.
»Dieser Durchmesser besagt nicht viel, meine Herren«, sagte Marschall Winston Woodrov Wamsler. »Wir wissen nicht einmal genau, was innerhalb dieses Raumes liegt. Natürlich haben wir jeden einzelnen Weltenkörper vermessen und aufgezeichnet und seine Position vermerkt. Aber wir wissen nicht, was jen-seits unserer Grenzen ist. Sozusagen hinter dem Hügel. Diese Fremden kommen von dort, und es ist ein Glück, daß wir sie bereits an der Grenze trafen.«
Villa schaltete sich ein.
»Der erste Kontakt der Fremden mit uns bestand aus Mord und Tod, aus Vernichtung und Angriff.«
»Wir griffen nicht an. Sie waren es«, sagte Sir Arthur hart.
Oberst Villa war ein schlauer Taktiker und ein gerissener Verhandlungspartner. Er gehörte zu jenen Männern, die Krieg als die letzte aller Möglichkeiten ansahen. Zuerst waren ganz andere Dinge wichtiger. Forschung, Entwicklung und Verständigung. Dann erst setzte man die Waffen ein. Er war hier, um eine überstürzte Aktion zu verhindern.
Das aber hatte er nicht laut gesagt. Er wußte, daß Wamsler ähnlich dachte und ähnlich handeln würde. Auch er dachte seit Jahren daran, wie wohl der erste Kontakt mit Extraterrestriern aussehen würde. Jetzt wußten sie es alle.
»Meine Herren!« bat Kublai-Krim und verschaffte sich mit erhobener Stimme Gehör. »Ich weiß nicht, ob dies die richtige Zeit für grundsätzliche Diskussionen ist. Die Lage ist klar: Ein vorgeschobener Relaisasteroid wurde von Fremden besetzt und die Mannschaft getötet. Daran bestehen keine Zweifel. Ich habe die Erste und Zweite Strategische Flotte in Alarmzustand versetzt und bitte um Freigabe der Einsatzbefehle.«
Villa lächelte knapp.
»Glücklicherweise ist dies wiederum etwas, das nur wir vier gemeinsam beschließen können. Und Sie werden es sehr schwer haben, Kublai, mich zu überzeugen.«
Wieder trommelten seine Finger einen schnellen Rhythmus auf das Glas.
»Diese Fremden sind da, daran besteht kein Zweifel«, sagte Villa und legte die Fingerspitzen beider Hände gegeneinander. »Sie tauchten zuerst an der Grenze auf und trafen dort auf Clarence und seine Männer. Es kann ein Zufall oder ein Mißverständnis sein, daß die Besatzung des Asteroiden starb. Ich betone: Es kann sein!«
»Nettes Mißverständnis!« warf Wamsler ein.
Das Lächeln von Oberst Villa blieb freundlich.
»Es ist durchaus möglich, daß es eine Folge von Verständigungsschwierigkeiten war oder von der Unmöglichkeit, eine Verständigung herbeizuführen. Warten wir den Bericht McLanes ab oder, wenn er umgekommen ist, von einem anderen Schiff, das nicht zerstört wird. Ich bin dafür, daß wir alles versuchen, mit den Fremden Kontakt herzustellen - und unter Kontakt, Sir Arthur, meine ich nicht die Entsendung einer Flotte, die mit Strahlgeschützen und Energiewerfern um sich feuert.«
Kublai-Krim schwieg einige Sekunden. Dann sagte er ruhig: »Wir hatten bisher keine Ahnung von der Existenz dieser Extraterrestrier.«
»General!« antwortete Villa erstaunt, »wir empfangen seit Jahrhunderten aus dem All Signale. Ein Großteil davon, das stellten unsere Wissenschaftler fest, stammt nicht aus Radiosternen, sondern ist Beweis für fremde Intelligenz.«
»Diese fremden Intelligenzen sind mir gleichgültig«, rief Kublai-Krim und strich über sein borstiges Haar, »solange sie uns in Ruhe lassen.«
»Mit Verlaub«, erwiderte Oberst Villa, noch immer von bestrickender Höflichkeit, »gerade diese Einstellung halte ich für antiquiert.«
»Ich muß doch sehr bitten!« rief Kublai-Krim.
Villa lächelte maliziös.
»Es ist ein seltsamer Zug von uns Terranern«, stellte er versonnen fest. »Wir haben in den letzten Jahrhunderten viel geschaffen. Alles geschah im Zeichen des Fortschritts. Wir gründeten Kolonien auf Mars, auf Merkur und fast sämtlichen Planeten und Monden des Sonnensystems und einigen anderen unseres Herrschaftsbereiches. Die Einstellung der Militärs ist die gleiche geblieben seit der Zeit der Pharaonen.
»Es bleibt die Frage offen«, sagte Wamsler, und ihm war anzumerken, daß er keinen Rat wußte, »ob uns ein anderes Mittel bleibt, als die strategischen Raumflotten einzusetzen. Wozu raten Sie, Oberst Villa?«
»Ich warne mit Entschiedenheit vor größeren Kampfhandlungen. Krieg ist etwas, das wir uns im Augenblick weniger denn je leisten können. Wir müssen drei verschiedene Dinge klären. Unbedingt. Erstens: Wer sind diese Fremden? Zweitens: Was wollen sie von uns? Drittens: Über welche Hilfsmittel verfügen sie?«
»Über welche Hilfsmittel sie verfügen - davon wird Ihnen McLane eine traurige Ballade singen können, falls er lebend zurückkehrt«, sagte Wamsler und stand auf.
Die Konferenz wurde mit diesem Beschluß beendet. Und niemand wußte, was wirklich geschehen war.
*
Noch im selben Sekundenbruchteil, in dem der milchig-durchsichtige Körper des Fremden sich zu bewegen begann, feuerte Atan Shubashi.
Ein hauchdünner Strahl spannte sich von dem Projektor der Waffe bis zu den miteinander verbundenen Tanks.
Die Energie zerschnitt den Stahl der Vorratsbehälter.
Der gewaltige Überdruck, unter dem der reine Sauerstoff stand, brach sich Bahn. Mit einer ungeheuren Explosion entwich das komprimierte Gas. Binnen einer einzigen Sekunde war der Kommandoraum mit Sauerstoff von rund eineinhalb Atmosphären Druck gefüllt. Die Druckwelle drückte den gewaltigen Schaltschrank ein. Sie erreichte die Männer ...
Vor ihnen wirbelte die massive Stahltür davon, als sei sie ein Fetzen Blech. Sie wurden zu Boden gerissen, und rutschten zwanzig Meter, bis sie eine Wand aufhielt. Hasso wurde einige Sekunden lang bewußtlos. Er kam wieder zu sich, als ihn Atan hochzog.
»Was ist los?« stammelte er.
Atan antwortete nicht. Er überprüfte die Apparaturen seines Anzugs und stellte fest, daß sämtliche Geräte noch funktionierten. Durch die Lautsprecher kamen jetzt die Außengeräusche: Das stete Summen der Umwälzanlage, die den Sauerstoff in den beiden Räumen absog, durch die Filter leitete und in den Kontrollraum zurückleitete. Irgendwo klapperte unregelmäßig ein Blechgitter vor einer der kleinen Turbinen. Atan hinkte hinüber zu dem verwüsteten und halb eingedrückten Durchgang und spähte um die Ecke.
Die Fremden waren keine Gefahr mehr. Nicht einer von ihnen lebte.
»Haben wir Glück gehabt?« fragte Hasso neben seinen Ohren.
»Ja. Wir sind außer Gefahr.«
Dann begannen Atans Knie zu zittern, und er mußte sich am Rahmen festhalten. Er drehte langsam den Oberkörper herum und grinste Hasso an.
»Ich habe es immer gewußt«, sagte Atan mühsam. »Ich bin ein Genie!«
»Das ist gut«, sagte Hasso. »Dann kannst du mir ja wahrscheinlich sagen, wie wir hier herauskommen können!«
Sie sahen sich an und begriffen. Eine Gefahr hatten sie ausgeschaltet, andere waren dadurch nicht geringer geworden. Sie besaßen die technischen Einrichtungen, Nahrungsmittel und Luft, aber nichts, was sie von hier wegbringen konnte. Die LANCET schaffte nicht einmal den Weg in den Nachbarkubus. Und -der Laborkreuzer CHALLENGER raste geradewegs auf den Asteroiden zu, um sich eine Kurskorrektur abzuholen.
»Es sieht so aus, als sollten wir uns etwas einfallen lassen«, sagte Hasso und hielt seinen Arm vor das Quarzglas seines Helms. »In dreiundvierzig Stunden kracht die CHALLENGER auf den Asteroiden.«
*
1,3 Parsek von Terra entfernt brannte Alpha Centauri. Der Stern besaß die 2,1-fache Gesamtmasse der irdischen Sonne und zählte zu der Gruppe der visuellen Doppelsterne. Es war eine Sonne mit einem dunklen Begleiter, einem öden Planeten. Das Doppelsternsystem war von allen ähnlichen Konstellationen das erdnächste. Urplötzlich erschien außerhalb des Schwerefeldes der Sonne ein schlanker Diskus.
Die ORION VII rematerialisierte aus dem Hyperraum.
Der dunkle Begleiter des Alpha Centauri umkreiste seine Sonne in dem Bahnabstand, die der Entfernung des Planeten Uranus von der irdischen Sonne entsprach.
McLane, de Monti, - Tamara und Helga schwiegen. Die ORION VII war aus dem Hyperraum gekommen, weil der strapazierte Computer eine Überprüfung der Kurskoordinaten verlangt hatte. Es stellte sich nach wenigen Sekunden heraus, daß die Fluglinie stimmte. McLane saß mit einem versteinerten Gesicht vor seinem Schirm.
»Funksatellit Eins/Nord meldet sich«, sagte Helga Legrelle halblaut. »Wir werden in einigen Stunden landen.«
»Jawohl.«
Das bedrückte Schweigen dauerte eine halbe Minute lang. Dann raffte sich McLane auf und sagte: »Hyperraumspruch an Außenstation Jupiter: ORION VII erbittet Landezeichen für Terra, Basis 104.«
Tamara Jagellovsk legte kurz ihre Hand auf die Schulter Cliff McLanes und sagte: »Ich kann mir vorstellen, wie Ihnen zumute ist.«
McLane sah nicht auf und nickte nur, als Helga die eingehenden Landezeiten auf Bordbuch sprach und somit speicherte. Die ORION nahm wieder Fahrt auf und glitt zurück in den Hyperraum.
»Ich möchte mich nicht aufdrängen«, sprach Tamara weiter. »Aber, wenn es Sie entlasten sollte: Ich bin gern bereit, Frau Sigbjörnson zu benachrichtigen.«
McLane sah sie an. Der Schnelle Raumkreuzer war vor den fremden Schiffen geflohen. Es bestand kaum ein Zweifel mehr, daß beide Männer tot waren. Die Fremden würden sie ohne Zögern umgebracht haben, so wie sie es mit Clarence und seinen Leuten getan hatten.
»Danke«, sagte er müde. »Das ist großzügig - ich danke Ihnen wirklich, aber das ist meine Sache. Wäre ich nicht gewesen, könnte Hasso jetzt friedlich zwischen den Korallenbänken des Großen Barriereriffs tauchen.«
De Monti sagte von seinem Platz aus: »Cliff, wir haben etwas vergessen!«
Gleichgültig nickte der Commander.
»Ich weiß«, erwiderte er. »Die CHALLENGER.«
»Aber wenn wir nichts unternehmen, stürzt der Laborkreuzer in einigen Stunden auf MZ 4 und zerschmettert zumindest einen Teil des Asteroiden«, sagte Mario.
»Wir könnten zurückfliegen und ihn umleiten, Cliff«, warf Helga ein.
»Wozu?« fragte McLane. Nach einer Weile fuhr er fort: »Im Asteroiden sitzen die Extraterrestrier, und Hasso und Atan sind tot. Die fremden Schiffe gehen uns wenig an, und die Station ist ohnehin wertlos.«
Tamara Jagellovsk begann aufzuzählen: »Der Laborkreuzer ist vollautomatisch. Kein Mensch ist an Bord, nur Geräte und die Fracht. Die CHALLENGER wird genau das tun, was wir nicht mehr tun konnten.«
»Was?« fragte Helga.
»Den Asteroiden vernichten.«
Die CHALLENGER, deren Kurs vor dem Start in den Rechner der ORION programmiert worden war, besaß als Ziel einen Planeten im Kubus Zehn/Nord 360. Der Kursänderung nach, die sie von MZ 4 erhalten sollte, lag der Planet in einem der Nachbarkuben des Asteroiden. Die Fracht und das Schiff wurden von einer kleinen Gruppe von Pionieren dringend erwartet.
McLane machte sich, als er daran dachte, eine Notiz.
Die ORION raste weiter, der Erde entgegen.
Einige hundert Menschen warten auf das Schiff und auf den Kommandanten. Wamsler wartete auf Cliff, weil er wissen mußte, ob ein Krieg drohte, und Oberst Villa wartete auf Tamara. Die Erde war abhängig von einem einzigen Schiff.
Die CHALLENGER raste im Hyperraum durch das All.
Äußerlich unterschieden sich die Schiffe fast gar nicht. Die CHALLENGER hatte nur keine Geschütze, denn sie war zu langsam und zu schwer, um ernsthaft an Gegenwehr denken zu können. »Denken« konnte ohnehin nur die Rechenmaschine der Robotsteuerung. Wie gut sie dachte - oder vielmehr, wie beschränkt - bewies die Tatsache, daß der Laborkreuzer dicht an MZ 4 vorbeifliegen mußte, um von dort eine Kurskorrektur zu erhalten.
Es war fast unmöglich, im Raumflug genau zu steuern.
Stets waren Abweichungen von Kilometern aufgetreten, manchmal von hundert Kilometern. Die Entfernungen waren zu groß. Die Kurskorrekturen konnten niemals so genau sein, daß diese Fehlermöglichkeiten ausglichen. Der Radar war blind: Das Schiff flog im Hyperraum.
Der dreidimensionale Raum existierte nicht für die Maschinen und für die Geräte - mit einer Ausnahme. Es war das Hyperfunkgerät, das Informationen empfangen und weitergeben konnte. Es empfing den vollautomatischen Peilton von MZ 4. Es analysierte den Ton ...
Und fand heraus, daß das Schiff genau dem Platz zusteuerte, an dem - getrennt durch jenes rätselhafte Medium des übergeordneten Raums - der Asteroid unsichtbar schweben mußte. Es sendete einen Identifikationsspruch aus.
Jemand auf MZ 4 müßte diesen Spruch empfangen, die Lage klar sehen und die Kurskorrektur einleiten. Und zwar einige Minuten früher - denn sonst donnerte der Kreuzer mitten in die Kuppel auf der Oberfläche der Felsenwelt. Aber die Besatzung des Satelliten war tot. Die Geräte funktionierten nicht oder unvollkommen. Die Rechenmaschine der CHALLENGER bemerkte das Fehlen der Antwort und schaltete auf ein Robotgerät über. Ein endloses Band, für diese Art des Notfalls besprochen, begann sich zu bewegen. Auf der Welle des Notrufs schrie die CHALLENGER in den Raum hinaus.
»CHALLENGER an MZ 4 ... CHALLENGER an MZ 4 ... Wir erbitten dringend neue Koordinaten. Wiederholung: CHALLENGER an MZ 4 ...«
Das Asteroid schwieg beharrlich. Mit einer Geschwindigkeit, die nicht exakt meßbar war, fegte der Diskus im Hyperraum näher. Die Gerade der Flugbahn wies auf einen Punkt, der die Kreisbahn von MZ 4 tangierte. Der Elektronenrechner der CHALLENGER verstärkte die Sendeenergie.
»CHALLENGER an MZ 4 ... Kollisionskurs wurde errechnet ... Kollisionsgefahr besteht ... Erbitten dringend Kurskorrektur oder Halteimpuls ... CHALLENGER an MZ 4.«
Die Antenne strahlte nichts als einen Peilton ab. Die Entfernung betrug nur noch zweihundertachtzig Lichtsekunden. 280mal 299 791 km ± 1 km/sec).
Eine weitere Katastrophe bahnte sich an.
9.
Der Raum lag in geheimnisvollem Halbdunkel. Einzelne Geräusche waren zu hören: Das Klappern von Instrumenten und das Sirren einer Säge. Atemzüge und hin und wieder ein unterdrückter Fluch. Über allem lag das stetige Geräusch einer Turbinenanlage. Die Luft in dem Raum war frisch und kühl, und vereinzelt knackten die Heizgitter. In der Nähe der großen Maschinen und der Barrieren der Schaltschränke war Licht. Sonst lag der Raum im Dunkel. Plötzlich: Ein Hämmern heller Töne.
Eine ferne Stimme war zu hören. Statische Störungen des Alls überlagerten die einzelnen Worte, die langsam und überdeutlich formuliert wurden.
»... erbitte - neue - Koordinaten ...«
Ein Pfeifton, dann ein Prasseln. Ein Fluch folgte, und das Geräusch, mit dem Stahl gegen Blech schlug. Einer der beiden Männer hatte wütend einen elektronischen Schraubenzieher an die Wand geworfen.
»Es ist zum Verzweifeln!« stöhnte Shubashi.
Er drehte sich um und setzte sich. In einem freien Raum zwischen den Schränken und den abgestellten Rückplatten der Apparate stand ein Tisch, auf dem Tassen und viereckige Teller aus schwerem Plastik inmitten von Speisen und aufgebrochenen Rationspackungen lagen und standen.
»Mit allem sind wir fertig geworden!« sagte Hasso. Er griff nach einer Tasse und führte sie zum Mund.
»Richtig!« bestätigte Atan.
»Mit den Extraterrestriern sind wir fertig geworden. Wir haben die Überreste in die Kühlkammern gebracht ... Mit der Automatik der Luftumwälzanlage und den Gaszusätzen wurden wir fertig, nur mit diesem hier nicht.«
Hasso betrachtete die Rückfront eines demontierten Funkschrankes.
Die Männer hatten nach der Detonation ihrer Sauerstofftanks sofort zu arbeiten begonnen: Sie dichteten einen Teil des Korridorsystems ab und beließen die Luft nur in zwei Räumen, in der Kommandozentrale und in einem Nebenraum. Dann hatten sie die Umwälzanlage repariert, dem reinen Sauerstoff rund 78 Prozent Stickstoff zugefügt, die Menge des Sauerstoffs auf 25 Prozent reduziert.
Aus kleinen Behältern war Kohlendioxyd geströmt, sowie Argon, Neon, Helium, Krypton und Xenon. Jetzt besaß das Gemisch die richtige Zusammensetzung. Die Männer hatten die Helme ihrer Raumanzüge ablegen und die Handschuhe ausziehen können. Dann hatten sie Essen und Getränke gesucht und gefunden.
»Und in Kürze wird dieser idiotische Robotkreuzer hier einschlagen«, sagte Hasso. »Nur, weil wir nicht in der Lage sind, den Fehler in der Funkanlage zu finden.«
»... erbitte neue Koordinaten, kritische Distanz ...«
Die Robotstimme des Kreuzers klang entfernt. Die verzerrende Wirkung eines Funkverkehrs durch die Dimensionen schuf diesen Eindruck.
Ein einziges Gerät war in Ordnung.
Hasso blickte nachdenklich die blinkenden Lichter und die Ausschläge der Zeiger an. Es war die automatische Peilanlage. Sie sendete sowohl in den dreidimensionalen Raum wie auch in den Hyperraum. Es war wie ein Funkfeuer, das man von der See und vom Land aus sehen konnte. Nach diesem Muster orientierte sich die Rechenmaschine auf der CHALLENGER. Und die Zeit, die Korrektur durchzuführen, wurde immer kürzer.
»Wenn wir die CHALLENGER empfangen«, sagte Atan, »dann müßte es doch auch möglich sein, dieses Schiff anzufunken.«
»Natürlich - vorausgesetzt, die Funkgeräte sind nicht einer Technik angepaßt worden, die ich nicht verstehe.«
»Diese Dreiergruppen von vorhin?« fragte Atan.
»Ja. Der Strom geht in die Anlage. Sie arbeitet auch, aber keines der Testgeräte spricht an. Ich versuche schon seit Stunden, diesen Fehler zu eliminieren.«
*
Die Terraner hatten einst diesen kleinen Mond eingefangen, und sie befestigten einige ausgebaute Triebwerke an verschiedenen Punkten der Oberfläche. In transportablen Hütten wurde ein Rechengehirn aufgestellt, und die Beschleunigungswerte und die der Rotation wurden ausgerechnet. Dann brachte man den Asteroiden in eine stabile Bahn, und in der bewegte er sich noch immer.
Und auf diese Steinkugel, einen Kilometer Durchmesser groß, raste ein atombetriebenes Schiff los, dessen kinetische Energie unendlich war. Unendlich?
Es flog im Hyperraum. Die Riemannsche Mathematik sagte aus, daß ein Zusammenstoß zwischen einem Objekt im Hyperraum und einem zweiten, das sich zwar an der gleichen Stelle, jedoch nur im dreidimensionalen Raum befand, eine kosmische Katastrophe auslösen konnte. Bisher war dies noch niemals geschehen, und die Beweisführung für jene Gleichung war nicht unbedingt erforderlich. Und schon gar nicht in den Augen Atans und Hassos. Aus diesem Grund ängstigten sie sich.
»Verstehst du?« fragte Hasso. »Die Fremden haben das Kernstück des Senders umgemodelt. Ihre Technik und unsere haben keine Gemeinsamkeiten. Ich versuche seit zwanzig Stunden, die neuen Teile herauszureißen und durch Austauschteile zu ersetzen, die wir in den Regalen des Magazins fanden. Aber die Menge der Leitungen, Schaltpulte, Transistoren und jener kleinen Kugeln, die ich heute zum erstenmal sah, ist einfach zu groß. Also wird, wenn wir es nicht schaffen, die CHALLENGER von ihrem Kollisionskurs wegzubringen, der Asteroid detonieren.«
»Eine Detonation«, sagte der Astrogator leise, »die unter Umständen die halbe Galaxis verwüsten kann.«
»Du sagst es«, schloß Hasso. Er ging mit energischen Schritten an die Rückfront des Schrankes und riß eine weitere Leitung heraus.
»CHALLENGER an MZ 4 ... Erbitte neue Kurskoordinaten ... Erbitte ... «
»Wieviel Zeit haben wir noch?« fragte Hasso, während er einen kleinen Baustein der Anlage aus den Kontakten zog, ihn aufklappte und anblickte.
»Noch einhundertachtzig Minuten, Hasso!«
Drei Stunden ... Beide wußten, daß alles von ihnen abhing. Die Schiffe auf der Oberfläche konnten abgeschleppt und auseinandergenommen werden. Damit kannte man die Fremden wesentlich besser; ihre Technik war ohne Überraschungen, wenn man die Schiffe hatte. Prallte die CHALLENGER auf den Asteroiden, wurden auch jene Schiffe zerstört.
Die Körper der Außerirdischen lagen in den Kältekammern. Terranische Wissenschaftler konnten sie untersuchen und wertvolle Schlüsse ziehen. Alle diese Erkenntnisse waren nicht mehr möglich, wenn es nicht gelang, den Kreuzer aus dem Hyperraum herauszudirigieren.
»Atan - diese Nummer!« sagte Hasso und warf seinem Freund einen ganzen Satz von Transistoren zu. Atan suchte auf dem Plan, strich die Nummer aus und machte sich daran, an einer freien Ecke des Tisches ein kompliziertes Bauteil zusammenzusetzen. Als Hasso die Verbindungen festlötete, waren sie wieder ein Stück weiter.
»Machen wir einen Test, Atan?« fragte Hasso.
Atan nickte nur schweigend.
Seit zwanzig Stunden hatten die Männer nicht länger als sechzig Minuten geschlafen. Der heiße Kaffee, den sie ununterbrochen tranken, half nicht mehr und belastete nur den Kreislauf. Die Antennenleitung war angezapft und auf ein Testgerät geleitet worden.
Atan kannte als Astrogator selbstverständlich den Kode, nach dem die Maschinen eines Schiffes eine Schaltung vornahmen. Gelang es den Männern, diesen Kode nur einmal abzustrahlen, fiel die CHALLENGER aus dem Hyperraum. Der Zusammenstoß mit dem Asteroiden war dann vergleichsweise harmlos. Ein Körper aus einem Kilometer gewachsenem Granit hielt den Aufprall aus, ohne zu zerbrechen.
»Also los!«
Der Befehl war bereits kodiert und ein breites endloses Band damit bespielt worden. Hasso schaltete den Strom ein.
Kleine Funken tanzten einige Sekunden lang zwischen den Drähten, den Kugeln und den Platten hin und her. Dann erwärmten sich die Schaltstellen. Hasso ging gespannt um den Schrank herum, wobei seine Füße die Verpackung und die ausgebauten Bauteile zur Seite schoben. Die Schaltungen wurden vorgenommen. Auf zwei Drittel sämtlicher Anzeigen schlugen die Zeiger aus. Hasso blickte Atan wortlos ins Gesicht und drückte die Starttaste. Das Band lief ab.
»Verdammt!« sagte Atan inbrünstig. »Nichts!«
Auf den Skalen des Testgerätes schlug nicht einmal der Zeiger des Energiemessers aus. Die Antenne auf der Oberfläche des Planeten erhielt demnach keine Energie und sendete auch nichts.
»Weiter, schnell!« fieberte Atan und rannte zurück in die Lichtinsel zwischen den Rückfronten der Funkschränke. Das Band spulte zurück, und Hasso montierte weiter die Verbindungen aus. Atan reichte ihm die neuen Teile.
So arbeiteten sie sich Stunde um Stunde durch die verwirrende Technik. Drähte glühten ... Die Schere zerschnitt Isolationen und Verbindungen ...
Und einhundertdreißig Minuten vergingen.
»Ich kann mich schon nicht mehr gerade auf den Beinen halten«, sagte Hasso und massierte seine Finger. »Außerdem tränen meine Augen so, daß ich fast nichts mehr erkennen kann. Aber wir haben es gleich.«
Hasso stand jetzt auf der Plattform eines Montagegerüstes. Sie hatten es in aller Eile gesucht und aufgestellt.
»Dreiundzwanzig - einundsechzig, Atan!« rief Hasso.
Er fing ungeschickt eine schwere Platte auf, die mit zahlreichen bunten Vierecken, Würfeln, Kugeln und gelben Verbindungskabeln bedeckt war. Vorsichtig schob der Ingenieur den kompletten Satz in eine magnetische Schiene ein und schloß ein halbes Dutzend Drähte an.
»Ich habe getan, was ich konnte«, sagte er und schwebte mit der kleinen Plattform zu Boden. »Versuchen wir es noch einmal.«
Wieder schalteten sie das Gerät ein. Wieder drückten sie die Starttaste. Wieder lief das Band durch. Wieder leuchteten unzählige kleine Lämpchen auf und erloschen.
Diesmal schlug der Zeiger des Energiemessers aus.
»Halt!« sagte Atan scharf. »Ich habe etwas bemerkt.«
»Was?« fragte Hasso.
»Der Funkschrank scheint zu funktionieren. Aber die Netzfrequenz des Betriebsstroms ist falsch. Ich habe in der kleinen Glimmlampe hier einen deutlichen Rhythmus erkannt. Das darf nicht sein. Vermutlich sind auf dem Weg von Dynamo bis zum Funkgerät Zerhacker eingebaut.«
Sie suchten zuerst die Leitung. Das isolierte Kraftkabel war schnell gefunden. Es lag unter dem Hallenboden verborgen. Dann hoben die Männer die Klappe eines Verteilerschachtes hoch. Auch hier waren keinerlei Veränderungen vorgenommen worden.
»Helme auf, Luftversorgung des Anzugs an, Handschuhe anziehen!« kommandierte Hasso. »Wieviel Zeit?«
»Zweiundzwanzig Minuten«, sagte Atan nach ei-nem kurzen Blick auf seine schwere Armbanduhr. Sie hielten sich gegenseitig.
Dann verließen sie den Kontrollraum und hasteten zwei Korridore entlang. Schließlich standen sie im Raum des Atommeilers.
Die Normalfrequenz eines gebräuchlichen Stromnetzes betrug fünfzig Perioden je Sekunde. Die Helligkeitsschwankungen einer Glimmlampe waren mit dem normalen Auge zwar zu erkennen, aber nicht genau abzuschätzen. Die Veränderung war Atan aufgefallen.
Diesmal hatten die Freunde keinerlei Schwierigkeiten.
Sie fanden ein kleines unscheinbares Gerät auf einer der Zuleitungen und schalteten mit ein paar einfachen Griffen den Weg des Betriebsstroms um. Er lief jetzt nicht mehr geradeaus, sondern über einige Schaltstellen, die vorher genau kontrolliert worden waren. Die Netzfrequenz mußte den genormten Wert betragen. Ein neuer Versuch ... Die Energie war konstant.
»Ist der Sichtschirm eingeschaltet?« fragte Atan.
»Ja. Wir müßten die CHALLENGER bereits sehen, wenn es uns gelingen sollte, sie zum Eintritt in den Normalraum zu bewegen. Gut. Los!«
Hasso drückte die Taste, nachdem Atan das Testgerät abgeklemmt hatte.
Die Spannung war auf dem Höhepunkt angelangt, aber beide Männer waren zu müde, um noch zu zittern oder Schweißausbrüche zu erleiden. Das Signal wurde klar abgestrahlt!
»CHALLENGER an MZ 4 ... Wir erbitten ...« sagte die beharrliche Stimme des Robots noch. Dann schwieg sie, offensichtlich überrascht. Und im selben
Augenblick erschien der wuchtige Diskus auf dem Schirm. Das Schiff fegte in einem irrsinnigen Tempo näher und wurde größer und größer.
»Sollte die Dichtung unserer Gänge und Schleusen zerstört werden, Freund Hasso«, sagte Atan mit einer trockenen Kehle, »dann empfiehlt es sich, vorher die Helme zu schließen.«
Sie zogen die Handschuhe an und überprüften die Aggregate und den Luftvorrat. Er reichte noch für einen halben Tag. Dann setzten sie die Helme auf und nickten sich zu. Die CHALLENGER wurde immer größer.
Jetzt unterschied man schon in dem Dämmerlicht des Alls die Kanten und Vorsprünge, die feinen Linien der Schleusen und die Antenne auf der oberen Schale des Diskus. Shubashi und Hasso klammerten sich an die Kanten des Funkschranks. Das Band lief noch immer um die Tonköpfe und hämmerte den Befehl hinaus, aus dem Hyperraum zu springen.
Dann: Etwa siebzig Meter von der Oberfläche entfernt ...
»Aber ...« sagte Shubashi.
»Ich sehe es«, sagte Hasso und legte seinen Arm um die Schulter des Astrogators.
Was sie sahen, war verblüffend.
Um den Asteroiden wölbte sich ein kugelförmiges Kraftfeld. Es schien ein Magnetschirm zu sein, der Druck von außen abwehren sollte. Ein Schutz für die sieben Schiffe, weniger für den Satelliten.
»Jetzt haben wir Ruhe«, sagte er. »Ich habe nur noch eine einzige Arbeit auszuführen.«
Er ging mit steifen Schritten zum Funkschrank.
Dort schaltete er die Bandautomatik ab und griff nach dem Mikrophon. Auf einen Knopfdruck hin erschien eine Tabelle mit Anrufzahlen der nächstgelegenen Relaisstellen und den Kodeziffern der verschiedenen Bedeutungen.
»Das ist Neun/Nord 201«, sagte Hasso Sigbjörnson und tippte die Buchstaben. Ein primitives Elektronenhirn speicherte sie. Hasso stellte eine Meldung zusammen.
Mit einem Rest von Energie grinste er und tippte weiter:
Dann drehte er sich um und sagte zu Atan: »Junge, ich habe nur noch einen Wunsch: Wir finden zwei gemütliche Liegen und gehen schlafen. McLane wird sich schon melden ... «
Der Alarm heulte eine Viertelstunde durch die Kon-trollhalle, ehe die Männer wieder wach wurden. Atan sah um sich und erkannte die Unordnung, in der er sich befand. Während des Schlafes war er aus dem Sessel gefallen und hatte es nicht gemerkt. Was er jetzt merkte, kannte er aus seiner Kadettenzeit: Ein Raumanzug war kein Schlafanzug.
Er mußte am ganzen Körper blaue Flecken haben.
Hasso lag neben ihm auf dem Stahlboden und schnarchte. Atan wankte zu dem kleinen Pult und schaltete die Sirene ab. Auf dem Sichtschirm waren zwei Schnelle Kreuzer zu sehen. Die Bezeichnungen konnte Atan nicht erkennen; er wußte also nicht, ob McLane dabei war. Außer dem Radarschirm, der automatischen Positionsanlage und dem Hyperfunkgerät funktionierten keinerlei Nachrichtengeräte.
»Hasso!« schrie Atan Shubashi. »Sie sind da!«
Schließlich erwachte der Ingenieur. Er starrte Shu-bashi verständnislos an und begriff nichts.
»Was?« fragte er.
»Zwei Schnelle Kreuzer stehen vor dem Asteroiden und wollen uns abholen«, sagte Shubashi und zog Hasso hoch. »Unsere Probleme existieren nach wie vor.«
Langsam kam Hasso zu sich.
»Ja«, sagte er, »unsere LANCET steht bewegungsunfähig im Startschacht. Und um den Asteroiden besteht ein Magnetfeld. Wir können nicht hinaus, unsere Freunde nicht hinein. Was tun wir?«
»Zuerst können wir ihnen mit den Positionslichtern des Startschachtes ein Zeichen geben«, sagte Atan. »Dann müssen wir versuchen, die Barriere zu beseitigen.«
»Schon wieder Arbeit«, seufzte Hasso. »Ist noch etwas von dem Dosenschinken da?«
»Noch immer Arbeit«, sagte Atan lachend. »Ja. Dort drüben steht die Packung. Schalte die Kaffeemaschine ein.«
Sie hatten vierzehn Stunden lang geschlafen. Atan schaltete die automatische Kaffeemaschine ein, kippte einen Rationswürfel des pulverisierten Kaffees hinein und stellte einen Becher unter den Auslaufhahn.
Nach einigen Minuten entdeckte er die Schalter, mit denen die Positionslichter eingeschaltet werden konnten. Er stand unbeweglich auf.
Er morste zuerst die Bitte, sich zu melden.
Der mächtige Landescheinwerfersatz des ersten Schiffes flammte auf und war auf dem Schirm deutlich zu erkennen. Auch der Funker des anderen Schiffes schien verstanden zu haben, worum es ging.
»BETEIGEUZE ... « morsten die Lichter. »Wir verstehen.«
»Also gehen wir!« sagte Atan und trat an den Tisch heran, um sich die Tasse zu füllen. Sie tranken und aßen, schlossen ihre Helme und zogen die Handschuhe an, um nach der fremden Anlage zu suchen.
Unbeweglich warteten die beiden Kreuzer.
10.
Atan und Hasso gingen zuerst in die Energiezentrale.
Sie untersuchten den Meiler und fanden nichts. Die Kabelstränge, die von den beiden Generatoren ausgingen, verschwanden in den großen Kästen, in denen sich die Sicherungen befanden. Stück für Stück suchten Atan und Hasso Wände und Verteiler ab.
»Hier ist nichts«, sagte Hasso und deutete auf das strahlensichere Schott, das den nächsten Korridor von der Energiezentrale trennte. »Suchen wir in Raum II weiter.«
Raum II war das Magazin. Die Männer fanden alle Arten von Verpackungsmaterial. Überall waren die Mengen und der Inhalt in terranischen Schriftzeichen angegeben. Einige tetraederförmige Behälter mit unbekannten erhabenen Schriftzügen oder Zeichnungen standen in der Mitte des Raumes. Atan war, als er die Einzelteile gesucht hatte, achtlos an ihnen vorbeigerannt.
»Das gehört unseren durchsichtigen Freunden«, sagte Hasso und stieß mit dem schweren Stiefel des Raumanzugs an das nachgiebige Material. »Wieder etwas, womit sich unsere Biologen beschäftigen können.«
»In den Korridoren und Schächten ist ebenfalls nichts«, sagte Hasso zu sich selbst und strich über sein kurzes weißes Haar. Wenn seine Hand das Kinn berührte, kratzte es. Er setzte den Helm wieder auf und verließ den Raum, um weiterzusuchen.
»Hasso?« rief Atan über Helmfunk.
»Hier - Nebenraum des Kontrollraums«, erwiderte Hasso schnell. »Hast du etwas gefunden?«
»Es sieht so aus. Ich bin gegenwärtig in der Nähe des Landeschachtes - an der Oberfläche des Asteroiden.«
»Paß auf«, sagte Hasso und öffnete schnell die Tür zu einem der Korridore. »Paß auf, daß du nicht wegfliegst und an den Magnetschirm stößt. Ist das künstliche Schwerefeld intakt?«
»Natürlich!«
»Entschuldigen Sie, wenn ich mich einschalte«, sagte plötzlich eine fremde Stimme dicht an Hassos Ohren. »Aber ich habe endlich die Wellenlänge Ihres Helmfunks erwischt. Wie geht es Ihnen dort unten?«
Hasso lachte und wußte, daß Atan mithörte.
Er ging schnell und entschlossen auf die Rampe zu, die den Bodenraum des Landeschachtes mit dem Vakuum des Alls verband, neben dem Schacht.
»Danke«, sagte er. »Sind Sie der Funker der BETEIGEUZE?«
»Richtig. Wir warten schon lange. Ihre Vorgesetzten warten ebenfalls gespannt auf Ihre Berichte.«
»Sollen sie warten«, sagte Hasso. »Wir müssen zuerst den Steuermechanismus finden, der die Magnetbarriere ausschaltet.«
»Finden Sie ihn.«
Hasso ging die Barriere hinauf und sah sich plötzlich der Unendlichkeit des Alls gegenüber. Die beiden Kreuzer waren wie Boten aus einer Welt, die unendlich fern lag. Jedenfalls trennten nur noch Stunden die Männer von der Zivilisation und von ihren Kameraden.
»Wo bist du, Atan?« rief Hasso drängend.
»Ich sehe dich. Rechts, dreißig Meter entfernt.«
Hasso drehte sich nach rechts. Über ihm funkelten die Sterne, durch das Fehlen einer Lufthülle mit ihren verzerrenden Schlieren starr und unbeweglich. Wie Diamanten auf Samt. Langsam ging der Mann vorwärts.
Die Lampe in seinem Gürtel flammte auf und beleuchtete den Weg. Er führte über zerklüftetes Gestein. Neben Hasso brannte ein rotes Licht: eine der Positionslampen des Schachtes. Er blieb stehen und sah nach unten - dort lag, bewegungsunfähig, die LANCET und sperrte den Schacht.
»Noch zwanzig Meter, Hasso!« sagte Atans Stimme.
Plötzlich dachte er an die Stunden, die hinter ihnen lagen, an die Gefahren, die jetzt bewältigt waren. Noch jetzt wurde ihm flau im Magen. Atan und er würden als Helden gefeiert werden. Sie hatten die Körper der Extraterrestrier geborgen. Sie hatten irgendwelche Materialien gefunden und sieben funkelnagelneue, unversehrte Schiffe erbeutet. Das alles geschah fast ohne ihr Zutun. Und sie waren mehrmals in Lebensgefahr gewesen.
Hasso blieb dicht vor Shubashi stehen.
»Das hier?« fragte er erstaunt.
»Ich habe nichts anderes gefunden. Ich glaube nicht, daß die Fremden noch mehr solcher Dinge versteckt haben.«
»Das ist nichts, was auf der Erde hergestellt wurde«, sagte Hasso und kauerte sich nieder. Das Licht seines Scheinwerfers blendete seinen Partner. Hasso beugte sich vor. Direkt an die rauhen Basaltfelsen angegossen, stand eine merkwürdige Konstruktion: ein Gebilde aus Kugeln, Rohren und Dreiecken, die sich nach allen Seiten streckten.
»Wenn du hier einen Schalter erkennen kannst«, sagte Atan, »dann drücke ihn bitte.«
Hasso suchte. Eine unvorstellbar fremde Technik war hier angewandt worden. Wie eine Geleemasse floß ein Fluß aus weißem Material über die Klippen und Steine, etwa zwei Meter im Durchmesser. Nach oben zu verjüngte sich die weiße Masse und bildete einen schlanken Stiel. Auf einer großen schwarzen Kugel befanden sich dreieckige Stacheln, an deren Spitzen wieder kleinere Kugeln von einem intensiv glühenden Rot befestigt waren. Gläserne Röhren, in denen eine purpurne Flüssigkeit pulsierte, verbanden in einem wirren Muster die kleineren Kugeln. Auf Hassos Seite war nichts zu erkennen, was wie ein Schalter aussah.
»Wie steht es bei Ihnen?« fragte der Funker der BETEIGEUZE.
»Noch kein Ergebnis!« sagte Atan mürrisch.
Er umrundete das zwei Meter hohe Gebilde.
Aus den obersten fünfzehn Kugeln wiesen je zwei geschwungene Dreiecke hinauf zu den Sternen. Has-sos Blick glitt an den Formen und Kurven entlang. Er suchte einen Sinn und fand keinen. Aber er sah in einer der Kugeln, etwa in Brusthöhe, ein etwa handgroßes Loch, aus dem ein verschwommenes Glimmen drang. Hassos Hand in dem dunklen Handschuh legte sich auf die Öffnung.
»BETEIGEUZE?« rief Atan sofort. »Können Sie eine Messung durchführen?« fragte er.
»Messung - welcher Art?«
Atan richtete seinen Blick auf die nebeneinander schwebenden Raumfahrzeuge, die schwach leuchtend über dem Asteroiden hingen und einen Teil der Sterne verdeckten.
»Eine Messung des Magnetfeldes. Offensichtlich müßte jetzt ein Anflug ohne Gefahr möglich sein«, sagte der Astrogator. »Ich kann mich täuschen, aber ich glaube, diesen leichten diffusen Schimmer um den Asteroiden nicht mehr zu sehen.«
»In Ordnung. Wir testen!«
Die zwei Männer auf der felsigen Oberfläche des winzigen Mondes warteten ungeduldig. Sie waren noch immer müde und hungrig, aber die Aufregung des Augenblicks ließ sie Müdigkeit und Hunger vergessen. Der andere Kreuzer war die KRÜGER 60, identisch mit der BETEIGEUZE und mit ORION VII. Denn die Schiffe entstammten einer der modernsten Bauserien.
»Das Magnetfeld ist verschwunden«, sagte der Funker.
»Wir haben eine zweites Problem«, hörte er die Stimme Hasso Sigbjörnsons über den Helmfunk: »Unser Beiboot, die LANCET, steht bewegungsunfähig im Landeschacht. Sie erkennen ihn durch die Positionslichter. Als wir landeten, ließen uns die Fremden so wie ihre sieben Schiffe durch den Schirm. Sie zerstörten die Sauerstoffanlage des Beibootes und dabei auch sämtliche Hauptkabel der Steuerung. Können Sie helfen?«
»Natürlich«, sagte der Funker. Atan und Hasso hörten die Worte einer schnell geführten Unterhaltung. »Wir fliegen mit unserem Beiboot in den Landeschacht, befestigen Magnettrossen an der Hülle Ihres Fahrzeugs und ziehen es hoch. Wir stellen es hier auf dem Asteroiden ab und fliegen Sie zurück nach Terra.«
»In Ordnung«, sagte Hasso. »Wir warten.«
Sie verließen ihren Standort und gingen durch die Klippen zurück zu der schrägen Rampe. Wenige Minuten später standen sie in dem runden Raum, in den die Gitter der Landeanlage mündeten. Atan schloß die Schleuse und blieb neben Hasso stehen.
Der Rest war einfach. Es dauerte nur fünf Minuten.
Die LANCET, abgefeuert von der KRÜGER 60, beschrieb einen eleganten Bogen und senkte sich über den Landeschacht. Aus der Unterseite fielen Kunststoffseile mit Stahlkern, die an den Enden wuchtige Magnetteller trugen. Lautlos hefteten sich die Magnete an die LANCET. Dann schaltete der Pilot des Beibootes die Zusatzaggregate ein. Die LANCET schwebte nach oben und wurde fünfzig Meter von dem Landeschacht entfernt aufgesetzt. Dann ließ sich das Beiboot in den Schacht fallen. Die Schleuse öffnete sich langsam. Männer in Raumanzügen kamen heraus. Hasso hob die Hand und winkte.
Sie unterhielten sich leise durch Sprechfunk, bis sie in den gefluteten Kontrollraum kamen. Dort erst begrüßten sich die vier Männer.
»Commander Figueras vom Schnellen Kreuzer BETEIGEUZE«, sagte der hochgewachsene Mann und streckte die Hand im Handschuh aus, nachdem er den Helm abgenommen hatte. »Wir sind abkommandiert worden, Sie abzuholen - vor dem Geschwader, das mit Wissenschaftlern hier eintrifft.«
»Willkommen auf MZ 4«, sagte Hasso trocken.
»Können wir fliegen?« fragte Figueras und stellte seinen Ersten Offizier vor.
»Sicher«, erwiderte Atan. »Wir haben nicht viel Gepäck. Was geschieht mit den anderen Dingen hier?«
»Kurz nach uns sollen vier Schiffe gestartet sein. Sie haben eine Menge von Kosmobiologen, Technikern und Reportern an Bord. Sie werden hier einfallen und eine Menge Unruhe stiften«, sagte Figueras.
Neugierig betrachtete der Erste die auseinandergenommenen Geräte und die Unordnung, die hier herrschte. Er nickte anerkennend und deutete auf den Tisch.
»Nett haben Sie es hier«, sagte er und grinste. »Bis auf das Durcheinander.«
Hasso nickte ihm zu und erwiderte: »Ich hätte Sie hier gern an unserer Stelle zittern sehen wollen. Versuchen Sie einmal, mit einem von fremden Intelligenzen gestörten Funkgerät eine Kollision aus dem Hyperraum abzuwehren.«
»Das waren Sie?« fragte der Erste verblüfft.
»Natürlich«, erklärte Atan leichthin. »Wir, die Männer der ORION.«
»Bringen die Schiffe auch eine Ersatzmannschaft für den Asteroiden mit?« fragte Hasso weiter.
»Natürlich. Eine, die schwer bewaffnet ist«, sagte der Commander. »Ich habe Order, Sie so schnell wie möglich zu Wamsler und Villa zu bringen. Können wir gehen?«
»Ja!« sagten Atan und Hasso zweistimmig.
»Ich würde mir gern noch kurz die fremden Schiffe ansehen«, warf der Erste ein. Die leuchtenden blauen Augen unter dem blonden Haarschopf verzogen sich in einem kalten Lächeln. Die Männer kannten die Gefahr, die das Auftauchen jener Schiffe an den Grenzen hervorgerufen hatte. Je mehr sie von dieser Gefahr wußten, desto besser konnten sie sich wehren. Das hagere, hartgeschnittene Gesicht des Ersten verzog sich zu einer wütenden Grimasse.
»Gut!« stimmte Commander Figueras zu. »Wir schließen die Helme, stimmen den Sprechfunk ab und gehen hinauf. Versuchen wir, in eines der Schiffe einzudringen?«
»Wenn es möglich ist, Commander!« sagte der Erste.
Hasso und Atan stimmten ebenfalls zu. Sie waren an ihrer eigenen Entdeckung natürlich sehr interessiert.
»Anschließend starten wir!« sagte Figueras. »Es eilt.«
Sie kamen an den beiden Toten vorbei, die mitten während des Essens erstarrt waren, und betraten über die Rampe die Oberfläche der Steinkugel.
»Rechts!« sagte Atan kurz.
Sie kletterten hundertfünfzig Meter weit über die blauschwarzen Felsen. Die vier Lichtkegel aus den Gürtelscheinwerfern warfen scharfes Licht mit harten Schatten auf den Stein. Dann ragte vor ihnen das erste Schiff in die Höhe - eine Kugel von rund vierzig Metern Durchmesser.
Sie glänzte wie hochpoliertes Silber. In der Wandung spiegelten sich die Sterne und die regungslosen Körper der anderen Schiffe und der beiden terrani-schen Kreuzer.
Von dem Kugelkörper, der mit einem breiten Kranz von stählernen Dreiecken den Fels berührte, stachen zwei Fortsätze wie grazile Libellenflügel in die Höhe. An ihren Enden saßen kleinere Tropfen. Diese tropfenförmigen Enden glühten in dem flammenden Rot wie der Projektor des Magnetfeldes.
Sieben Schiffe standen in einer geschwungenen Reihe.
Das letzte war nur noch teilweise hinter dem Horizont des kleinen Felsmondes zu sehen. Figueras ging neben seinem Offizier an Atan und Hasso vorbei und berührte die Hülle des Schiffes mit dem Handschuh. Dann, einige Meter weiter, erkannten die Männer die Konturen einer Schleuse, die ebenfalls keine Ähnlichkeit mit einer terranischen aufwies.
Es war ein Verschluß, der aus reiner Energie zu bestehen schien.
Schwarz inmitten der silbernen Bordwand. Flirrend und bewegt. Der Commander schüttelte stumm den Kopf und sagte in das erregte Schweigen hinein: »Ich bin dafür, daß wir nichts anrühren. Sollen sich die Wissenschaftler darum kümmern.«
»Sie haben recht«, erklärte Hasso und wandte sich zum Gehen. »Die Ergebnisse der Untersuchungen erfahren wir in Raumfahrerkreisen sowieso zuerst.«
»Los!« sagte Atan nur.
Hintereinander gingen sie zurück, bogen in die Rampe ein und bestiegen die LANCET. Die plattgedrückte Kugel mit den vielen Kuppelfenstern löste sich vom Boden des Landeschachtes und flog hinauf zur BETEIGEUZE. Kaum schlossen sich die Schleusentore, schwenkten beide Schiffe ab und nahmen Fahrt auf.
Kubus Zehn/Nord 219: Die beiden Schiffe gingen, nachdem sie die Grenze der Lichtgeschwindigkeit erreicht hatten, in den Hyperraum. Das Klicken und Hämmern der arbeitenden Rechenmaschinen hörten weder Hasso Sigbjörnson noch Atan Shubashi. Beide Männer lagen unrasiert und erschöpft im tiefen Schlaf. Die Schiffe jagten durch das pulverige Grau des Hyperraumes der Erde entgegen.
Kubus Eins/Null Eins ...
Heulend erschienen die beiden Kreuzer über dem Meer. Sie bekamen sofort Landezeiten. Sie schlugen einen gewaltigen Kreis ein, der sie an vielen Punkten der Karten vorbeibrachte.
»Ortung Basis 104 an Schiffe KRÜGER und BETEIGEUZE!«
Die beiden Funker meldeten sich.
»Sie landen in genau hundert Sekunden. Haben Sie Shubashi und Sigbjörnson an Bord?«
»Wohlbehalten.«
»Sie melden sich in drei Stunden bei Oberst Villa.«
»Das war knapp!« flüsterte Atan, noch immer unter dem Eindruck des Geschehens.
11.
Oberst Villa schien ein Mann zu sein, der nicht älter wurde. Niemand konnte sich erinnern, ihn anders gesehen zu haben als jetzt: hinter seinem Schreibtisch sitzend, leicht sarkastisch lächelnd und mit den Fingern der rechten Hand Wirbel auf das spiegelnde Glas schlagend. Vor Villa rollten die Berichte ab.
Die gespeicherten Daten erwiesen sich als wichtig. Man konnte ihnen entnehmen, welche gewaltigen Kräfte das Schiff in ihrem erbarmungslosen Griff gehabt und beinahe zerstört hatten. Weitere Berichte folgten. Hyperraumbilder: Sie waren von den eintreffenden Schiffsführern gefunkt worden und zeigten jene Dinge, die auf MZ 4 gefunden worden waren: Die tote Besatzung, die fremden Nahrungsmittel, die sieben Schiffe, die merkwürdige Konstruktion des Magnetfeldprojektors und die Arbeiten Sigbjörnsons und Shubashis ...
Villa seufzte leise und schaltete den Projektor ab. Er betrachtete die Grenze, die in der Gegend des oberen Pols der dreidimensionalen Kugelprojektion lag.
»Nichts als Ärger!« sagte Oberst Villa und gestattete sich ein vorsichtiges Lächeln. Dann blickte er, nachdem ein kleines Pfeifsignal ertönt war, auf den Sichtschirm des Videophons, das ihn mit dem Vorzimmer verband.
»Leutnant Erster Klasse Tamara Jagellovsk«, sagte die Ordonnanz.
»Herein«, erwiderte Villa.
Tamara kam durch den Lichtvorhang herein und ging mit schnellen Schritten bis an den Schreibtisch.
Sie salutierte kurz und sagte: »Sie haben mich rufen lassen, Sir?«
»Ganz richtig. Nehmen Sie bitte Platz, Leutnant.«
Tamara setzte sich in einen federnden Sessel mit hoher Lehne, schlug die schlanken Beine übereinander und blickte Villa abwartend an.
»Sie wissen nichts?«
»Nicht mehr als die Gerüchte, die hier allerorts umherschwirren«, erwiderte Tamara. »Shubashi und Sigbjörnson leben. Das hörte ich.«
»Und zu Ihrem persönlichen Ärger lebt auch noch Major McLane.«
Tamara lächelte, gab aber keine Antwort.
»Er wird in Kürze hier erscheinen«, versprach Villa. »Versuchen Sie, ihm nicht gleich die Augen auszukratzen. Außerdem habe ich Sigbjörnson und Shu-bashi hierhergebeten.«
»Gut. Und was soll ich dabei?« fragte Tamara.
»Zuhören. Schließlich machen Sie noch fünfunddreißig Monate und zwanzig Tage Sicherheitsdienst auf dem Schnellen Kreuzer ORION VII, wie ich glaube.«
Tamara betrachtete ihre gepflegten Fingernägel und erwiderte: »Ja. Und ich habe diesen Auftrag inzwischen lieben gelernt. Dies ist ironisch gemeint.«
»Wir alle haben unsere Probleme«, sagte Villa ungerührt. »Ihres ist eines der kleinsten, die ich kenne. Wie benimmt sich McLane Ihnen gegenüber? Abgesehen davon, daß er Sie am liebsten umbringen möchte.«
»Ich kann nicht klagen«, sagte Tamara liebenswürdig. »Ich kenne schlimmere Dinge. Er wird sich an mich gewöhnen, fürchte ich.«
Es war das erstemal, daß sie ihren Vorgesetzten richtig lachen sah. Ein kurzes schrilles Signal ertönte. Der Videophonschirm zeigte das Gesicht der Ordonnanz.
»Commander McLane ist bei mir, Oberst.«
»Ich erwarte ihn bereits«, erwiderte Oberst Villa. Er sah Cliff entgegen, der durch die Barriere kam. Hinter ihm loderte das tödliche Feuer wieder auf. Cliff salutierte.
»Sie werden sich schon kennen, glaube ich?« fragte Oberst Villa sarkastisch und deutete auf Tamara. Die Frau nickte Cliff zu und sah zu, als er sich setzte, drei Sitze von ihr entfernt.
»Zunächst das Sachliche«, sagte Villa. »Ich spreche Ihrer Mannschaft und Ihnen meine Hochachtung aus.«
»Danke«, sagte Cliff trocken. »Ohne GSD-Offizier hätten wir noch besser arbeiten können.«
»Werden Sie nicht undankbar«, warnte Villa. »Leutnant Jagellovsk tut alles, um Sie vor Ihrer eigenen Unbesonnenheit zu schützen.«
Wieder nickte Cliff. Nicht einmal Villa konnte ahnen, was er dabei dachte.
»Hat man Ihnen die Berichte übergeben?« fragte Villa.
»Ja, natürlich. Wo sind Hasso und Atan?« fragte Cliff.
»Sie werden jeden Augenblick hier eintreffen«, erwiderte Villa. »Die Erde hat ihnen sehr viel zu verdanken.«
»Das stimmt«, sagte McLane. »Wenn wir nicht durch einen reinen Zufall auf MZ 4 gelandet wären, hätte alles ganz anders ausgehen können.«
Hasso und Atan wurden angemeldet und betraten den Raum. Cliff sprang auf und begrüßte sie stürmisch. Er sah, daß beide Männer noch die Spuren des ausgestandenen Schreckens trugen. Die Linien um Hassos Augen schienen sich vertieft zu haben. Die scharfe Nase Atans stach noch mehr hervor.
»Nehmen Sie Platz, meine Herren«, sagte Villa und deutete auf die leeren Sessel zwischen Tamara und Cliff.
»Danke.«
Die Männer setzten sich; Cliff merkte, daß seine Freunde einen Muskelkater von kosmischen Dimensionen haben mußten. Im Licht einer Punktleuchte funkelte das S auf Oberst Villas Brust auf.
»Berichten Sie bitte genau«, bat er, »wem oder was Sie Ihre Rettung verdanken. Ich meine - wer hat die CHALLENGER zur Explosion gebracht, ehe sie auf den Asteroiden aufschlagen konnte?«
»Es gelang uns«, sagte Hasso, nachdem ihm Atan einen auffordernden Blick zugeworfen hatte, »das Funkgerät zu reparieren. Die Fremden hatten es für ihre Zwecke verändert.«
Villa blickte an Hasso vorbei auf die gewaltige Karte.
»Es hätte eine unvorstellbar große Katastrophe gegeben«, sagte er. »Und die CHALLENGER?«
»Sie raste direkt auf den Asteroiden zu«, sagte Atan und machte eine Bewegung mit der flachen Hand.
»Schlug sie ein?«
»Nein«, sagte Sigbjörnson. »Die Fremden hatten einen Magnetschirm errichtet. Sie öffneten ihn zweimal: Einmal, um uns mit der LANCET hindurchzulassen, und ein zweites Mal, um ihre eigenen Schiffe landen zu lassen.«
»Der Laborkreuzer prallte also gegen den Magnetschirm«, sagte Cliff.
»Jawohl. Und wurde in eine Million Teile zerfetzt.«
»Die Fremden waren bereits tot - umgebracht durch Ihre Sauerstoffbatterien?«
»Das ist richtig. Aber sie hinterließen dieses Magnetfeld und die Störungen in sämtlichen Geräten.«
»Sie wollten offensichtlich einige Terraner als Versuchskaninchen«, sagte Villa ausdruckslos.
»So schien es uns auch«, erwiderte Hasso.
»Sicher eine Kleinigkeit für die Männer der ORION VII«, bemerkte Tamara bissig. McLane wandte seinen Kopf.
»Eine Kleinigkeit, die rund zwanzig Stunden angestrengtester Arbeit kostete und uns an den Ruin brachte«, sagte Atan spitz. »Was hätten wir um Ihre Hilfe gegeben!«
Cliff begann schallend zu lachen. Tamara wurde rot. Oberst Villa lächelte unmerklich.
»Wenn ich diesen erbitterten Dialog anhöre und meine Schlüsse ziehe«, meinte Villa und sah langsam von Tamara Jagellovsk zu Cliff McLane, »dann muß ich feststellen, daß Sie sich schon überraschend nahegekommen sind.«
»Ich denke, Oberst Villa«, erwiderte McLane mit verschlossenem Gesicht, »daß sich Leutnant Ja-gellovsk schon an uns gewöhnen wird.«
»Wer sich an wen gewöhnt, Major, wird die Zukunft zeigen«, erwiderte Tamara. »Aber an eines gewöhne ich mich sicherlich niemals!«
»Woran bitte?« fragte er unschuldig und überrascht.
»Daran, daß Sie mich belügen!«
»Ich?« fragte Cliff und runzelte die Brauen. »Ich soll Sie belogen haben? Es würde mir nicht im Traum einfallen!«
Tamara stemmte die Fäuste in die Seite und sah ihn scharf an.
»Sicher nicht. Und wie war die Sache mit diesem stummen Funksatelliten?«
Cliff verstand augenblicklich.
»Das war, Leutnant ...« begann er. Aber Tamara unterbrach ihn sofort.
»Das war eine Lüge, Major McLane. Und wenn Sie sich einbilden sollten, Sie könnten mich ... «
»Meine Dienstzeit«, sagte Villa in unüberhörbarer Schärfe, »ist sehr ausgefüllt. Ich kann mir nicht leisten, Zeuge Ihrer - hm - Unterhaltung zu sein. Ich glaube, Leutnant Jagellovsk, das sind Probleme, die Sie mit Commander McLane viel besser bei einem Glas Whisky besprechen können.«
McLane stand auf und salutierte.
»Ich möchte melden, daß Leutnant Jagellovsk strenge Antialkoholikerin ist. Sie verabscheut geistige Getränke.«
»Was?« rief Tamara. »Wer sagt Ihnen denn, daß ich nie etwas trinke?«
»Sie schworen, Mario de Monti anzuzeigen, weil er während des Fluges das Wort >Whisky< gebrauchte.«
Cliff schien sich verteidigen zu müssen. Auf Hassos Gesicht erschien ein mildes Lächeln.
»Ganz recht, McLane! An Bord! Aber wer sollte uns zwingen«, sagte Tamara, »unsere Privatangelegenheiten an Bord der ORION VII zu besprechen? Es gibt doch auch noch ein Starlight-Casino und derlei Etablissements mehr!«
Außer McLane lachten alle, die hier um den Schreibtisch versammelt waren. McLane blickte auf die Uhr.
Die vier Leute verabschiedeten sich von Villa. Als sie bereits auf halbem Wege zur Barriere waren, rief sie Oberst Villa an. Sie blieben stehen.
»McLane! Sie haben der Erde einen großen Dienst erwiesen. Das ist zweifellos richtig. Wenn Sie sich aber einbilden sollten, Sie könnten weiterhin Ihre Extratouren machen, nur weil Sie diesmal mehr Glück hatten, muß ich Sie warnen. Sie sind nach wie vor strafversetzt und unter Aufsicht. Noch mehr als fünfunddreißig Monatelang!«
»Guten Abend«, sagte Cliff und drehte sich um.
12.
Es war Nacht ... Bickerton Island, eine Insel am Westrand der Bucht, lag unter den Sternen. Das Starlight-Casino trug heute nacht seinen Namen zu Recht: Über der Tanzfläche und den zahllosen Nischen standen die Sterne. Das System von submarinen Gängen und Korridoren schickte mehrere Ausläufer bis hierher. Kleine Wagen brachten die Besatzungen der Raumschiffe, Bodenpersonal und die zahllosen Menschen nach oben, die in den Büros und den Rechenzentren beschäftigt waren.
Dies war nur eine der zahlreichen Schiffsbasen Erde. Basis 104, Nordaustralien. Ausgerüstet mit Maschinen, Rampen und Hochhäusern, in denen die Raumleute und deren Familien lebten. Das Casino war bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Mannschaft des Kreuzers ORION fiel dennoch auf.
Sie saßen um einen mächtigen runden Tisch. Commander Cliff Allistair McLane hielt ein zylindrisches Glas in der Hand. Neben ihm saßen Hasso Sigbjörnson und dessen Frau. Der Robot paßte auf die Kinder auf.
»Freunde«, sagte Cliff laut, »ich trinke auf das Wohl unserer tapferen Besatzung, die sämtlichen Gefahren trotzt - sogar dem Sicherheitsdienst.«
Dröhnendes Gelächter war die Antwort. Tamara hob ebenfalls ihr Glas und antwortete nicht weniger schlagfertig: »Ich trinke auf das Wohl des Kommandanten, der so klug ist, wegen seiner Eskapaden sich einen Aufpasser zu bestellen. Lang lebe ...«
Cliff machte ein saures Gesicht. Sie saßen seit Stunden hier. Zuerst hatten sie sich über die Videophonanlagen über den heutigen Abend verständigt. Atan Shubashi hatte daraufhin einen der weiblichen Kadetten eingeladen. Der Astrogator hatte sich binnen erstaunlich kurzer Zeit von den Strapazen erholt.
»Danke für den Toast«, erwiderte Cliff und stieß Hasso an. »Wir alle werden uns bemühen, in den schweren Tagen des nächsten Einsatzes - wo immer er uns hinführen wird - keinerlei Unfug zu treiben. Vielleicht wird Ihnen, verehrter Leutnant Jagellovsk, das Bordleben ausgesprochen schal und langweilig vorkommen!«
Bedächtig trank Tamara. Dann erwiderte sie: »Solange Sie fliegen, Commander, habe ich diese Befürchtung nicht.«
Hassos Frau nickte dem Leutnant verständnisvoll zu.
Unbeweglich stand eine kleine Wolke vor den Sternen. Die Musik spielte wieder einen Song von
Mario de Monti kümmerte sich um Helga Legrelle. Hoch über dem Ausschnitt in der Decke des Casinos zog ein unauffällig glänzender Punkt eine gerade Bahn: Erdaußenstation IV.
Inzwischen war ihnen klargeworden, was ihr Eingreifen verhindert hatte. Sie fühlten sich ausnahmslos als Helden.
»Was wäre eigentlich geschehen, wenn wir die Dreiergruppen des fremden Funkkode nicht aufgefangen hätten?« fragte Helga Legrelle, Offizier für Raumüberwachung.
»Wir wären nicht auf MZ 4 gelandet«, sagte Atan.
»Wir wären vermutlich als Streitmacht oder als Teil der strategischen Flotte in Raumkämpfe verwickelt worden«, erwiderte Hasso ernst. »Eine Sache, die keinem gefallen hätte.«
»Wir wären zumindest nicht so berühmt wie jetzt und hier«, sagte er heiter und beugte sich zu Helga. »Und einige Leute würden sich nicht darüber ärgern, daß McLanes Crew trotz der Versetzung in den Idiotendienst wieder ganz groß herausgekommen ist«, sagte Mario.
»Ich weiß, wen du meinst«, sagte Cliff ernst. »Dort naht er schon.«
Die Köpfe drehten sich. Adjutant Spring-Brauner vom Büro des Raummarschalls kam durch die Gasse zwischen den Tanzenden und den Nischen des Casinos. Es schien, als suche er jemanden.
»Mein ganz persönlicher Freund«, sagte Sigbjörnson.
Die Tischrunde erwartete Spring-Brauner schweigend und abwartend. Sogar Tamara begrüßte ihn nicht. Spring-Brauner deutete eine Verbeugung an und fragte: »Sie haben wohl nicht meinen Vorgesetzten gesehen?«
Cliff hielt den Kopf schräg und fragte zurück: »Wer sollte das sein, Mister?«
Er konnte es sich gestatten; er war ranghöher als Spring-Brauner.
»Marschall Wamsler.«
»Wir hatten noch nicht das Vergnügen und die Ehre«, erwiderte Hasso, »aber wenn wir ihn sehen sollten ...«
»Denn«, sagte Tamara plötzlich, und Cliff traute seinen Ohren nicht, »er wird es sich sicher nicht nehmen lassen, der tapferen Crew der ORION zu gratulieren ... «
»... werden wir ihm sagen, Sie ließen ihn bitten«, vollendete Atan grimmig.
Spring-Brauner warf ihm einen Blick zu, der Atan hätte glatt durchbohren müssen, und ging wieder. Die Besatzung sah sich an und lachte.
Astrogator Atan Shubashi war der Erfinder einer zeitsparenden Methode, die Umlaufgeschwindigkeiten von Weltkörpern zu bestimmen, die um Sonnen oder um schwer feststellbare Schwerkraftzentren rotierten. Atan hatte als Kadett eine Theorie aufgestellt und sie im Einsatz bewiesen: Er entdeckte den zweiten Begleiter der Sonne BD 8 4352 und klassifizierte ihn.
Helga Legrelle war der jüngste Offizier für Raumüberwachung der gesamten Flotte. Cliff mußte grinsen, als er daran dachte, wie sie zuerst auf sein Schiff gekommen war, damals ...
Der ruhige und phlegmatische Mario de Monti, der jeden, der ihn näher kennenlernte, verblüffte, hatte die Koordinaten von mindestens zweitausend Stationen im Kopf. Und dies waren die Kodezahlen für den Computer, Zahlengruppen, die jeden anderen Sterblichen verwirrten.
Und Cliffs bester Mann: Hasso Sigbjörnson. Fünfzig Jahre alt und von der Zuverlässigkeit einer Präzisionsuhr. Die Verbesserungen des Schiffsantriebs, die Hasso in seiner dreißigjährigen Karriere vorgenommen hatte, machten ihn berühmt. Er flog nur noch, wie er immer betonte, aus Sentimentalität für McLane. Vermutlich war es so, daß er sich keinen besseren Platz zum Nachdenken und Testen wünschen konnte als Cliffs Schiff.
Cliff wechselte bei einem vorübereilenden Robot sein leeres Glas gegen ein volles und blickte Tamara über den Rand des Glases an. Sie war hübsch, daran bestand keinerlei Zweifel. Aber sie hatte was an sich, das ihn reizte. Mehr als alles andere. Es waren nicht ihr Rang und ihre Stellung.
»Worüber denken Sie nach, Commander?« fragte Ingrid.
»Nichts Wichtiges«, sagte er kopfschüttelnd. »Ich versuche, mir vorzustellen, wie die Sache weitergehen könnte. Immerhin haben wir Fremde an unseren Grenzen festgestellt, die uns technisch überlegen sind. Sie werden versuchen, weiter in unser Herrschaftsgebiet einzudringen. Ich frage mich, wie lange wir sie aufhalten können.«
Tamara wandte den Kopf und sah ihn an.
»Sie erwarten also Kampf?«
Die Tischrunde schwieg und hörte dem Gespräch zu. McLane griff nach seinem Glas und nahm einen Schluck.
»Nicht unbedingt und nicht sofort. Ich befürchte ganz andere Dinge, die viel gefährlicher sind.«
»Das interessiert mich«, sagte Hasso. »Sprich weiter.«
»Ich befürchte kleine Aktionen. Heimliche Vorstöße. Unruhe unter den Kolonisten. Eigenmächtige Bestrebungen, die durch die Anwesenheit eines Feindes ausgelöst werden können. Sabotage. Das ist letzten Endes viel gefährlicher als ein offener Krieg.«
»Dann haben wir uns ja zur richtigen Zeit getroffen!« erwiderte Tamara.
Atan begann nervös zu kichern.
»Getroffen!« rief er. »Kein Mensch hat sich getroffen! Sie wurden uns verordnet wie bittere Pillen!«
»Bittere Medizin ist aber meist sehr wirksam, Atan!« sagte Ingrid Sigbjörnson lachend.
»Mich würde interessieren«, sagte Cliff nachdenklich und blickte Tamara voll in die Augen, »aus welchem Grund Sie diese Bemerkung gemacht haben. Grundlos sicher nicht.«
»Grundlos tue ich niemals etwas«, sagte Leutnant Jagellovsk beherrscht. »Ich meine, daß diese kleinen Flüge, die Sie - und auch ich - ausführen werden, unter Umständen viel interessanter werden können als komplette Flottenbewegungen. Wir dürften in den nächsten Monaten nette Dinge erleben. Irgendwie freue ich mich darauf!«
»Wir freuen uns sehr, einen weiblichen GSD-Offizier von solch hohem persönlichen Mut an Bord zu haben. Wirklich!« antwortete Hasso gut gelaunt.
Das Casino leerte sich. Cliff blickte auf die Pilotenuhr: dreiundzwanzig Uhr. Ein Einsatz stand bevor, denn man sah kaum Schiffsführer und keine Ersten Offiziere. Die Musik hatte für einen Moment aufgehört.
»Damit rechnen Sie im Ernst?« fragte Atan Shu-bashi.
»Natürlich. Ich habe fast dieselben Ansichten wie Ihr Commander, Atan«, erwiderte Tamara freundlich. »Auch wenn er es nicht glauben möchte. Das Problem zwischen uns, wie ich inzwischen erkannt habe, ist seine Furcht, in seiner Handlungsfreiheit beschnitten zu sein.«
»Immerhin liest sie die
Hasso lachte über die Bemerkung von de Monti.
»Etwas, das ich Ihnen auch empfehlen würde«, sagte Tamara schnell. »Man lernt sich besser kennen.«
»Danke«, sagte Mario grinsend. »Ich kenne mich schon gut genug. Viel zu gut, nicht wahr, HelgaMädchen?«
Helga nickte schweigend und widmete sich ihrem Glas. Sie mußte einen Lachreiz unterdrücken. Manchmal war Mario etwas zu selbstbewußt, fand sie.
»Eines Tages werde ich Sie davon überzeugen«, erwiderte Tamara Jagellovsk ohne jeden Sarkasmus, »wie sehr Sie unrecht haben, Mario. Warten Sie auf den Tag und erinnern Sie sich!«
»Woran bitte?« fragte eine dunkle Stimme plötzlich.
Die Raumleute blickten auf und sahen das breite Gesicht Marschall Winston Woodrov Wamslers. Er stand neben dem Tisch und machte eine abwehrende Bewegung.
»Sitzenbleiben!« befahl er.
Er zog sich einen leeren Stuhl heran, winkte dem Kellner und bestellte ein Glas Whisky. Dann musterte er nacheinander die Gesichter und sagte schließlich: »Ich freue mich, daß die ORION unbeschädigt und ruhmbedeckt zurückgekommen ist. Was sage ich immer?«
»Was sagen Sie immer?« fragte Cliff McLane neugierig.
»Sie brauchen nichts anderes als ein Schiff. Den Rest besorgt der Zufall. Sie schaffen es immer wieder, in verrückte Situationen zu geraten. Wie fühlen Sie sich?«
»Jetzt wieder ausgezeichnet«, sagte Cliff. »Sie kommen doch nicht mit einem weiteren Auftrag?«
Wamsler nahm das Glas in die Hand.
»Nein. Aber Sie dürfen mich beim Wort nehmen -in Kürze haben wir wieder etwas für Sie, das die Linie MZ 4 trifft.«
»Bitte nicht!« rief Hasso. »Mir wird jetzt noch schlecht, wenn ich daran denke!«
»Freunde!« sagte Wamsler gutgelaunt, »die Lage ist ernst.«
»Wir diskutieren sie bereits!« sagte Tamara Jagellovsk, »und kamen zum gleichen Ergebnis, Marschall, wie wird sich unser erster Kontakt mit den Fremden entwickeln?«
Wamsler hob die breiten Schultern und ließ sie wieder fallen.
»Ich traue mir keine objektive Vorhersage zu, aber ich erkenne gewisse Gesetzmäßigkeiten, die Sie aus der terranischen Geschichte ableiten können. Wir werden unter einer Phase von Störungen zu leiden haben. Kolonien werden versuchen, selbständig zu werden - notfalls mit Gewalt. Sabotage wird getrieben, weil Gangster ihre Chance zu erkennen glauben. Heimliche Gefahren für die Erde. Drohungen und Alternativen, die uns belasten. Und dazu Versuche der Fremden, näher an das Herz unserer Raumkugel, an die Erde heranzukommen.«
»Wie lange haben wir Pause?« fragte McLane, nachdem Wamsler geendet hatte.
»Einen Monat, wenn nichts Außergewöhnliches geschieht.« Wamsler nickte.
»Und in welcher Ecke unseres kleinen Universums sehen Sie die nächsten Schwierigkeiten? Schwierigkeiten, meine ich, die nur die Männer und Frauen der ORION VII besiegen können?«
Wamslers Grinsen war breit und offen.
»Sie werden sich noch einmal den Mund verbrennen mit Ihren despektierlichen Reden, Cliff McLane«, sagte er. »Ich wage keine Prognosen. Aber - um Ihren großen Durst nach Wissen zu löschen ... «
»Ich ahne fürchterliche Dinge!« flüsterte Shubashi.
»... sind Sie verpflichtet, in zwei Tagen an einem Kurs teilzunehmen.«
»Ich höre: Kurs?« fragte Tamara. »Obwohl doch unser Freund schon so klug ist!«
Wamsler nickte feierlich.
»Ich sagte: Kurs«, fuhr er fort. »Und zwar veranstalten wir für Kadetten einen Anschauungsunterricht über die Funktionen einfacher Robotmodelle. Sie, McLane, sind im Augenblick nichts weiter als ein Kadett. Sie werden diesen Kurs mitmachen. Und Ihre Mannschaft auch.«
McLane beherrschte sich vorbildlich. Er überlegte kurz und sagte dann: »Wüßten Sie, Marschall, daß Sie verfolgt werden?«
Wamsler schüttelte sein mächtiges Haupt. Seine Brauen hoben sich fragend.
»Nein. Von wem?«
Wamsler verstand heute abend offensichtlich eine ganze Menge Spaß. Er begann dröhnend zu lachen.
Er wurde schlagartig wieder ernst und winkte McLane zu sich heran. Zusammen gingen sie langsam bis zum Lift. Die senkrechte Röhre verband das Starlight-Casino mit dem submarinen System. Wamsler legte seine fleischige Hand auf den Arm des Commanders und blieb vor dem Lift stehen.
»McLane!« sagte er. »Machen Sie sich keine Illusionen. Ich scherze gern, aber ich weiß, daß mit MZ 4 die Gefahr eines Krieges zwischen zwei Rassen aufgetaucht ist. Halten Sie die Augen offen und tun Sie nichts Unüberlegtes. Ich sehe für die nächste Zeit Gefahren, McLane. Versteckte Gefahren. Wie Infektionen. Wenn wir sie nicht entdecken, können sie zu einer Bedrohung des Gebietes um Terra führen.«
McLane salutierte lässig.
»Ich bin vorbereitet«, sagte er. »Schließlich sind die ORION VII und ihre Crew bekannt dafür, daß Gefahren sie geradezu magnetisch anziehen.«
»Machen Sie keinen Unsinn, Cliff! Und machen Sie dem Mädchen ihren Dienst nicht so schwer!«
»Das hängt nicht allein von mir ab«, sagte Cliff.
»Ich fürchte«, schloß Wamsler, »wir sehen uns bald wieder, Commander Cliff Allistair McLane!«